Angabe des wichtigen Grundes bei außerordentlicher Bauvertragskündigung entbehrlich
Real Estate Praxistipp: OLG München, Urteil vom 19.09.2019, 28 U 1508/19 Bau; seit BGH-Beschluss vom 15.09.2021, Az. VII ZR 230/19, rechtskräftig
Zwar kann der Auftraggeber einen Bauvertrag jederzeit auch ohne wichtigen Grund kündigen (§§ 648 BGB, 8 Abs. 1 VOB/B). Das Recht zu einer solchen „freien Kündigung“ kann im Bauvertrag aber (individualvertraglich) ausgeschlossen sein. Außerdem reduziert eine berechtigte auftraggeberseitige Kündigung aus wichtigem Grund die Vergütungsansprüche des Auftragnehmers, die bei einer „freien Kündigung“ dagegen grundsätzlich fortbestehen würden. Die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ist daher – wenn sie berechtigt ist – für den Auftraggeber günstiger. Jedenfalls im Fall einer schweren Vertragsverletzung des Auftragnehmers durch ernsthafte und endgültige Verweigerung der Erfüllung einer vertraglichen Verpflichtung ist die außerordentliche Kündigung des Bauvertrages durch den Auftraggeber auch dann berechtigt, wenn dieser wichtige Grund in der Kündigungserklärung nicht genannt ist.
Der Fall:
Ein Fliesenleger verpflichtet sich vertraglich, nach eigenem Aufmaß eine Ansetz- und Verlegeplanung zu erstellen. Sie soll dem Auftraggeber ermöglichen, sich ein Bild von der geplanten optischen Gestaltung zu machen. Unter Hinweis auf fehlende Ausführungspläne und eine darauf gestützte Behinderungsanzeige weigert sich der Auftragnehmer ernsthaft und endgültig, die Räume vor Beginn der Verlegearbeiten selbst aufzumessen und dem Auftraggeber die auf der Grundlage dieses eigenen Aufmaßes erstellte Planung vorzulegen. Der Auftraggeber kündigt den Bauvertrag daher aus wichtigem Grund, ohne den Kündigungsgrund nochmals ausdrücklich zu benennen. Vom Auftragnehmer fordert er Erstattung der Mehrkosten, die ihm durch die Beauftragung eines anderen Fliesenlegers entstanden sind – nach den Entscheidungen des OLG München und des BGH zu Recht:
Eine Kündigung muss grundsätzlich nicht begründet werden. Der Kündigende bleibt auch an etwa geäußerte Kündigungsgründe nicht gebunden. Die Kündigung aus wichtigem Grund muss diesen nicht benennen.
Besteht ein genannter Grund nicht oder ist keiner angegeben, kann der Auftraggeber auch später zur Rechtfertigung der Kündigung noch (andere) tatsächlich bestehende Gründe nachschieben. Es kommt allein darauf an, ob objektiv ein Grund zur außerordentlichen Kündigung bestand.
Kündigungsgründe können aber nicht beliebig nachgeschoben werden. Jeder nachgeschobene Grund muss rückblickend die außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
PSP-Praxistipps:
Will der Auftraggeber eine außerordentliche Kündigung nicht (wie in dem vom OLG München entschiedenen Fall) auf eine ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung durch den Auftragnehmer stützen, sondern auf mangelhafte oder zögerliche Arbeiten des Auftragnehmers, muss er dem Auftragnehmer grundsätzlich zunächst eine angemessene Frist setzen und diese Fristsetzung im Falle eines VOB-Bauvertrages mit einer Kündigungsandrohung (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. §§ 5 Abs. 4, 4 Abs. 7 Satz 3 und 4 Abs. 8 Nr. 1 Satz 3 VOB/B) oder (bei einem BGB-Bauvertrag) einer Abmahnung (§ 648a Abs. 3 i.V.m. § 314 Abs. 2 BGB) verbinden.
Die Kündigungsandrohung bzw. Abmahnung soll den Auftragnehmer darüber informieren, wegen welcher Gründe der Auftraggeber den Bauvertrag zu beenden beabsichtigt, falls nicht fristgerecht Abhilfe geschaffen wird. Erledigt der Auftragnehmer die Beanstandungen fristgerecht, soll es dem Auftraggeber nicht gestattet sein, seine außerordentliche Kündigung nunmehr auf andere Gründe zu stützen, die er im Zeitpunkt der Kündigung bereits kannte, deretwegen er die Kündigung aber nicht angedroht hatte (OLG Stuttgart, Teilurteil vom 14.07.2011 - 10 U 59/10).
Ein einmal entstandenes Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund kann allerdings auch wieder verloren gehen. Für die Beurteilung, ob ein dem Auftraggeber bekannter Kündigungsgrund für ihn ein weiteres Festhalten am Vertrag unzumutbar macht, ist ihm eine „angemessene“ Überlegungsfrist eingeräumt (§§ 648a Abs. 3, 314 Abs. 3 BGB). Wenn er sich innerhalb dieser Frist nicht auf den ihm bekannten Kündigungsgrund beruft und die fristlose Kündigung ausspricht, ist das Kündigungsrecht auf der Basis dieses Kündigungsgrundes verwirkt.
Außer im Fall einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung durch den Auftragnehmer sollte der Auftraggeber daher sowohl in der Kündigungsandrohung bzw. Abmahnung als auch im Kündigungsschreiben stets alle ihm bekannten Gründe, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könnten, nennen und immer dann, wenn ihm ein weiterer potenzieller Kündigungsgrund bekannt wird, höchst vorsorglich zeitnah (erforderlichenfalls nach erneuter Kündigungsandrohung/Abmahnung) eine weitere außerordentliche Kündigung aussprechen.