Auswirkungen der Zinswende auf die handelsrechtliche Bilanzierung (Teil II)

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Jahr 2022 als Reaktion auf steigende Inflationsraten in der Eurozone damit begonnen, die Leitzinsen anzuheben. Im Zuge dieser Erhöhung sind auch die risikolosen Zinssätze, die aus Renditen von Anleihen der öffentlichen Hand abgeleitet werden, deutlich gestiegen. Aktuell beläuft sich der risikolose Basiszinssatz auf 2,50 %, während er zu Beginn des Jahres 2022 noch bei 0,10 % lag. Zudem haben sich auch die Kosten für die Fremdkapitalbeschaffung erhöht. Die Auswirkungen des höheren Zinsniveaus auf die Bewertung von Unternehmensbeteiligungen und Geschäfts- oder Firmenwerte wurden in Teil I dieses Beitrags dargestellt. Teil II befasst sich nun mit den Auswirkungen auf langfristige Forderungen und Rückstellungen.

Langfristige Forderungen

Steigende Zinsen haben unter sonst gleichen Bedingungen zur Folge, dass der Barwert langfristiger Forderungen sinkt. Handelsrechtlich sind hieraus entstehende Wertminderungen bei Forderungen – aufgrund des strengen Niederstwertprinzips im Umlaufvermögen – zwingend anzusetzen. Für Ausleihungen im Anlagevermögen hingegen ist handelsrechtlich eine Abwertung nur im Falle einer dauernden Wertminderung geboten. Da bei einer Ausleihung mit festen Zins- und Rückzahlungsbeträgen allerdings bis zur Fälligkeit regelmäßig eine Wertaufholung bis zum Nominalwert erfolgt, sind zinsbedingte Wertminderungen grundsätzlich als vorübergehend anzusehen. Insofern besteht handelsrechtlich für Ausleihungen ein Abwertungswahlrecht.

Abzinsung von Rückstellungen

Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr sind abzuzinsen. Der anzuwendende Diskontierungszinssatz für die jeweilige Restlaufzeit ergibt sich dabei grundsätzlich aus dem durchschnittlichen Marktzinssatz der vergangenen sieben Geschäftsjahre. Bei Rückstellungen für Altersversorgungsverpflichtungen ist abweichend davon der Durchschnitt der vergangenen zehn Geschäftsjahre zu verwenden.

Aufgrund der Durchschnittsbildung wirkt sich die Zinswende auf die handelsrechtlichen Diskontierungssätze für Rückstellungen nur verzögert aus. So ist der auf sieben Jahre gemittelte Zinssatz für Restlaufzeiten von 15 Jahren von 1,34 % zu Beginn des Jahres 2022 auf 1,76 % im Januar 2024 gestiegen, der auf zehn Jahre gemittelte Zinssatz von 1,85 % sogar auf 1,82 % gefallen.

Wird ein im Vergleich zum Stand Januar 2024 unverändertes Marktzinsniveau unterstellt, werden sich die maßgeblichen Diskontierungszinssätze für eine Restlaufzeit von 15 Jahren zukünftig wie dargestellt weiterentwickeln (vgl. Tabelle „Übersicht zu Diskontierungszinssätzen“, siehe unten).

Zu beachten ist, dass das IDW im Schreiben vom 4. Oktober 2022 an das Bundesministerium der Justiz (BMJ) eine kurzfristige Rückänderung von § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB auf die Fassung des BilMoG angeregt hat. Dies würde bedeuten, dass für alle Rückstellungen einheitlich der auf sieben Jahre gemittelte Zinssatz verwendet werden muss und der aktuell für Altersversorgungsverpflichtungen verwendete auf zehn Jahre gemittelte Zinssatz entfällt.

Differenzen, die sich zwischen den handelsbilanziellen und den steuerbilanziellen Wertansätzen ergeben, weil in der Steuerbilanz Rückstellungen mit einem Zinssatz von 5,50 % diskontiert werden, sind in die Gesamtdifferenzbetrachtung für die Ermittlung latenter Steuern nach § 274 Abs. 1 Satz 1 HGB einzubeziehen.