Finanzverwaltung nimmt Stellung zum Ort der Geschäftsleitung nach § 10 AO

Überblick zu den hinzugefügten Ausführungen zu § 10 AEAO

Bislang war der Begriff des Orts der Geschäftsleitung im AEAO nicht näher bestimmt. Nun hat die Finanzverwaltung im Rahmen der Änderung des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) vom 05.02.2024 Ausführungen zu § 10 AO in den Erlass eingefügt. Auch wenn die Ausführungen zu § 10 AO weitgehend klarstellender Natur sind, werden sie in der Praxis dennoch Auswirkungen haben. Insbesondere wird die Verwaltung wohl künftig ein besonderes Augenmerk auf eine fundierte Dokumentation hinsichtlich des Orts der Geschäftsleitung richten.

Hintergrund

Die Bestimmung des Orts der Geschäftsleitung von Unternehmen nach § 10 AO wird durch die zunehmende Mobilität von natürlichen Personen erschwert. Die sich ausweitende Kultur des mobilen Arbeitens, die durch digitale Entwicklungen ermöglicht wird, hat dabei mehr oder weniger weitreichende Auswirkungen auf Unternehmen. So führt die Digitalisierung zugleich zu einer Dezentralisierung von geschäftsleitenden Tätigkeiten, die z. B. mittels Videokonferenzen und Cloud-Lösungen eine Abwicklung der Tagesgeschäfte von verschiedenen Orten aus ermöglicht.[1] Die Bindung der Entscheidungen und Handlungen der Geschäftsführer an eine Unternehmenszentrale ist somit nicht zwingend anzunehmen. Dabei ist der Bestimmung des Orts der Geschäftsleitung eine große praktische Bedeutung beizumessen, da sie ein zentrales Tatbestandsmerkmal einer unbeschränkten Körperschaft- und Gewerbesteuerpflicht darstellt.

Allgemeine inhaltliche Implikationen

Grundsätzlich stellt das BMF klar, dass jedes Unternehmen mindestens einen Ort der Geschäftsleitung haben muss (§ 10 Nr. 7 AEAO). Dieser Ort wird danach bestimmt, wo der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung ist, wobei regelmäßig auf die Willensbildung abgestellt wird (§ 10 Nr. 1 AEAO). Die Ortsbestimmung wird dadurch präzisiert, dass es laut BMF auf die notwendigen Entscheidungen und Maßnahmen für das laufende Tagesgeschäft ankommt (§ 10 Nr. 2 AEAO). Beispielsweise sind Maßnahmen des gewöhnlichen Unternehmensbetriebs sowie der -verwaltung von Belang. Dagegen sind die Festlegung von unternehmenspolitischen Grundsätzen, die Mitwirkung an nicht gewöhnlichen Maßnahmen sowie das Treffen von Entscheidungen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung nicht entscheidend (§ 10 Nr. 3 AEAO). Entsprechend bestätigt die Finanzverwaltung die klare Abgrenzung von Geschäftsführungs- und Gesellschafterebene, die sich auch in der BFH-Rechtsprechung widerspiegelt.[2] Die Mitwirkung von Gesellschaftern an einzelnen Geschäftsführungsentscheidungen und die Ausübung von Gesellschafterrechten zählen dabei nicht zur regulären Geschäftsführung.[3] Insgesamt sind bei der Bestimmung die Verhältnisse des Einzelfalls zu würdigen (§ 10 Nr. 5 AEAO).

Für die Ausübung der Geschäftsführungsfunktionen sind grundsätzlich geeignete Räumlichkeiten erforderlich (§ 10 Nr. 4 AEAO). Dies erfordert allerdings nicht zwingend eine feste und eigene Geschäftseinrichtung des Unternehmens. Vielmehr können geschäftsleitende Handlungen eines Unternehmens auch in der Wohnung des Geschäftsführers vorgenommen werden. Auch die Räumlichkeiten einer eingeschalteten Dienstleistungs- oder Managementgesellschaft können eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte begründen. Dagegen führen Entscheidungen, die auf Geschäftsreisen getroffen werden, aufgrund des Fehlens einer ortsbezogenen Einrichtung sowie eines gewissen Maßes an Dauerhaftigkeit noch nicht zur Begründung eines Mittelpunkts der geschäftlichen Oberleitung.

Mehrere Orte der Geschäftsleitung

Besteht die Geschäftsleitung eines Unternehmens beispielsweise aus mehreren Geschäftsführern, können die entscheidenden Tagesgeschäfte auch von verschiedenen Orten aus wahrgenommen werden. Die Finanzverwaltung erkennt im § 10 Nr. 6 AEAO die Zulässigkeit von mehreren Orten der Geschäftsleitung an. Zunächst muss dafür aber eine Gewichtung der ausgeübten Tätigkeiten anhand ihrer Bedeutung für das Unternehmen erfolgen, um möglichst einen Hauptort zu bestimmen. Bei örtlichem Auseinanderfallen wird der kaufmännischen Leitung Vorrang gegenüber der technischen Leitung eingeräumt. Sollte die Analyse zu dem Schluss kommen, dass gleichwertige Geschäftsführungstätigkeiten von verschiedenen Orten aus abgewickelt werden, so sind mehrere sogenannte Geschäftsleitungsbetriebsstätten zulässig. Demnach positioniert sich die Finanzverwaltung klar zum bisher bestehenden Meinungsstreit in der Literatur, ob mehrere Orte der Geschäftsleitung möglich sind.[4]

Auch der Wohnsitz des Geschäftsführers kann als Ort der geschäftlichen Oberleitung herangezogen werden. Dies soll insbesondere in Fällen gelten, in denen das Finanzamt den Ausführungen des Steuerpflichtigen hinsichtlich des Orts der Geschäftsleitung nicht folgt und auch kein anderer Ort ermittelt werden kann. (§ 10 Nr. 8 AEAO).

Fundierte Dokumentation empfiehlt sich

Vor dem Hintergrund der Bedeutung des Orts der Geschäftsleitung für die Steuerpflicht von Unternehmen, ist es empfehlenswert in fraglichen Fällen eine fundierte Dokumentation zu erstellen. Geschäftsführer von Unternehmen sollten daher hinreichende Belege dafür vorhalten aus denen der Ort der Geschäftsleitung hervorgeht. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, sind auch die erhöhten Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO und die damit verbundene Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen zu beachten. Demnach muss der Steuerpflichtige nicht nur die für die Besteuerung relevanten Tatsachen offenlegen und Beweismittel angeben (§ 90 Abs. 1 AO), sondern selbst den Sachverhalt aufklären und notwendige Beweismittel beschaffen (§ 90 Abs. 2 AO).

Fazit

Mit der Einführung der Ausführungen zu § 10 AO in den AEAO wird erstmals die Meinung der Finanzverwaltung zur Begriffsabgrenzung des Orts der Geschäftsleitung deutlich. Die Zitation von einer Vielzahl von Urteilen des BFH zeigt, dass die Finanzverwaltung der Auffassung der BFH-Rechtsprechung der letzten Jahre weitestgehend folgt. Insgesamt ist zu empfehlen, dass steuerpflichtige Unternehmen mit einem Auslandsbezug eine ausreichende Dokumentation zur Begründung des Orts der Geschäftsleitung sicherstellen.

Sprechen Sie gerne die Autoren oder Ihre gewohnten PSP-Berater zu dieser Thematik an. In diesem Zusammenhang verweisen wir gerne auch auf unseren Artikel zu der geänderten Auslegung des Betriebsstättenbegriffs des AEAO zu § 12 AO durch die Finanzverwaltung.


[1]    Vgl. Musil, in: HHSp, 278. EL Januar 2024, AO § 10 Rn. 41.

[2]    Vgl. BFH-Urteil v. 07.12.1994, I K 1/93, BStBl. II 1995, 175.

[3]    Vgl. Töben/Schrepp DStR 2024, 592.

[4]    Vgl. Musil, in: HHSp, 278. EL Januar 2024, AO § 10 Rn. 41.