Stundung von Steuern bei Wegzug

Am 11.01.2024 veröffentlichte der Bundesfinanzhof (BFH) die finale Entscheidung im sog. „Wächtler-Verfahren“ (Urteil vom 06.09.2023, Az. I R 35/20) zu § 6 AStG a.F. und machte deutlich, dass auch im Falle des Wegzugs in die Schweiz die Steuer zinslos und dauerhaft (ggf. gegen Sicherheitsleistung) zu stunden ist.

Verletzung der Niederlassungsfreiheit

Vorab ist anzumerken, dass das Urteil zum früheren Recht, konkret zu der bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung des § 6 AStG ergangen ist. Kläger war ein deutscher Staatsangehöriger (Herr Wächtler), der bei seinem Wegzug in die Schweiz eine 50 %-Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in der Schweiz hielt. Sein Wegzug wurde nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a. F. der Besteuerung unterworfen, ohne dass es eine Möglichkeit der dauerhaften, zinslosen Stundung gab, wie sie in den Fällen des Wegzugs innerhalb der EU/EWR gemäß § 6 Abs. 5 AStG a. F. vorgesehen war. Herr Wächtler sah hierin eine Verletzung seiner Niederlassungsfreiheit, welche durch das Freizügigkeitsabkommen zwischen den EU-Staaten und der Schweiz gewährleistet wird und wandte sich gegen die Steuerfestsetzung. Das in dieser Sache befasste FG Baden-Württemberg legte dem EuGH u. a. die Frage vor, ob die Nichtgewährung einer Stundungsmöglichkeit mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sei.

Urteil des EuGH

Mit Blick auf das Freizügigkeitsabkommen kam der EuGH (Urteil vom 26.02.2019, Az. C-581/17) zu dem Schluss, dass die Wegzugsteuer zwar von Deutschland festgesetzt werden durfte, jedoch mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit eine dauerhafte und zinslose Stundung bis zur Veräußerung der Anteile geboten sei. Die Stundung könne dabei von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden, wenn keine Amtshilfe bei der Steuerbeitreibung zwischen den Staaten gegeben ist. Das FG Baden-Württemberg (Urteil vom 31.08.2020, Az. 2 K 835/19) kam daraufhin in seiner Anschlussentscheidung zum Ergebnis, dass die Steuerfestsetzung als solche bereits unzulässig ist, da die steuerliche Grundlage auf der sie beruht, ausgehend von der Wächtler-Entscheidung des EuGH, nicht mit den im Rahmen des Freizügigkeitsabkommen gewährleisteten Rechten im Einklang stünde.

BFH widerspricht dem FG Baden-Württemberg

Der BFH folgte der Ansicht des FG Baden-Württemberg nicht und machte deutlich, dass die Steuerfestsetzung als solche zulässig sei, aufgrund der durch das Freizügigkeitsabkommen gewährleisteten Niederlassungsfreiheit allerdings die Wegzugsteuer von Amts wegen dauerhaft und zinslos – ggf. gegen Sicherheitsleistung – zu stunden sei. Dies stützt der BFH dabei nicht auf einer analogen Anwendung der bis 2021 geltenden EU-/EWR-Stundungsregelungen (§ 6 Abs. 5 AStG a. F.), sondern durch "Hineinlesen" der vom EuGH verbindlich formulierten unionsrechtlichen Erfordernisse in diese nationale Norm. Hiermit folgt der BFH uneingeschränkt der EuGH-Entscheidung und stellt sich ausdrücklich gegen die Verlautbarung des BMF vom 13.11.2019 (BStBl. I 2019, 1212), welche als Folge auf die Wächtler-Entscheidung ergangen ist und bei einem Wegzug in die Schweiz eine verzinsliche Ratenzahlung über fünf Jahre gegen Sicherheitsleistung vorsah. Eine Verzinsung lehnte der BFH, ebenso wie der EuGH, ab, da diese ebenfalls eine mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbare Ungleichbehandlung zwischen Inländern und Wegzüglern darstelle.

Wegzüge in die Schweiz

Das Urteil ist insbesondere für Wegzüge in die Schweiz, die vor dem 01.01.2022 stattgefunden haben, von Bedeutung. In diesen Fällen dürfte von Amts wegen eine dauerhafte und zinslose Stundung der Wegzugsteuer bis zu einer tatsächlichen Veräußerung der Anteile geboten sein, ggf. gegen Sicherheitsleistung. Die Wegzugsteuer sollte dabei rückwirkend zu stunden und bei bereits erfolgter Zahlung zu erstatten sein. Fraglich bleiben die Folgen, da der BFH das Erfordernis der dauerhaften zinslosen Stundung nicht mit einer Analogie des § 6 Abs. 5 AStG a. F. begründet. Ist es dann erforderlich, dass der Wegzügler im Wegzugstaat einer der deutschen Einkommensteuer vergleichbaren Steuer unterliegt und gelten in diesen Fällen auch die Widerrufsgründe des § 6 Abs. 5 Satz 3 AStG a. F.? Hier wird die Reaktion des BMF auf das BFH-Urteil abzuwarten sein.

Neuere Wegzüge

Aber auch über den entschiedenen Fall, der noch die (bis 31.12.2021 anwendbare) Altfassung von § 6 AStG betraf, könnte das Urteil für Wegzüge ab 01.01.2022 relevant sein. Für neuere Wegzüge sieht § 6 Abs. 4 AStG in seiner aktuellen Fassung lediglich eine Entrichtung der Steuer in sieben gleichen Jahresraten gegen Sicherheitsleistung vor. Dies gilt unabhängig davon, ob der Wegzug in einen EU-/EWR-Staat, die Schweiz oder einen Drittstaat erfolgt. Werden nun die vom EuGH aufgestellten Entscheidungsgründe herangezogen, so dürfte in dem einheitlichen Konzept der Ratenzahlung ebenfalls eine unionsrechtliche Ungleichbehandlung von Inländern und Wegzüglern zu sehen sein. Dies lässt sich damit begründen, dass Wegzügler mit ihren Kapitalgesellschaftsanteilen bei einem endgültigen Wegzug der Wegzugsteuer unterworfen werden und mithin steuerlich schlechter stehen als die im Inland verbleibenden Steuerpflichtigen, welche die Steuer erst bei der Veräußerung der Anteile zu entrichten haben. Hieran dürfte auch die gesetzlich vorgesehene Ratenzahlung nichts ändern, da die Wegzügler hierdurch trotzdem einen Liquiditätsnachteil erleiden. Um die Gleichbehandlung von Inländern und Wegzüglern sicherzustellen, dürfte daher die Gewährung einer dauerhaften, zinslose Stundung im Falle des Wegzugs innerhalb der EU/EWR bzw. ggf. gegen Sicherheitsleistung bei Wegzügen in die Schweiz geboten sein. Ausgehend hiervon ist es ratsam, im Falle eines Wegzugs nach dem 31.12.2021 unter Berufung auf die o. g. Urteile des EuGH und des BFH eine dauerhafte, zinslosen Stundung zu beantragen und ggf. im Wege einer Verpflichtungsklage kombiniert mit einer einstweiligen Anordnung durchzusetzen.