Kein Ehegattentestament ohne Vorsorgevollmacht!

Ehegattentestamente in Form von Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten sind in Deutschland (zu Recht) weit verbreitet. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass Ehepartner sich lebzeitig testamentarisch binden und diese Bindung nur zu Lebzeiten wieder aufheben können. Der Erstversterbende erhält die Sicherheit, zu wissen, wer nach dem Tod des Letztversterbenden das „gemeinsame“ Erbe erhält. Das in der Bindung zum Ausdruck kommende gemeinsame Bekenntnis hat aber eine Kehrseite: Die Bindung trägt etwas Aleatorisches in sich. Zudem führen solch „versteinerte Verfügungen“ in bestimmten Situationen ein tückisches Eigenleben.

Die in unserer immer älter werdenden Gesellschaft vermehrt anzutreffende Demenz – juristisch gedacht Geschäfts- oder wenigstens Testierunfähigkeit – eines Ehepartners ist eine der Situationen, in der die Bindung eines Ehegattentestamentes zum Problem werden kann. Passt das Ehegattentestament nicht mehr in die Lebenswirklichkeit einer Ehe mit einem Demenzerkrankten, ist oft gewünscht, sich von der Bindung zu lösen. Zu Lebzeiten ist das an sich unproblematisch; aber wie soll der Lösungswille, rechtlich wirksam gegenüber dem Demenzerkrankten erklärt werden? Muss ein Betreuer gerichtlich bestellt werden, der die „Kündigung“ des Testamentes entgegennimmt? Dabei ist die altersbedingte Demenz nur ein denkbarer Fall. Auch junge Ehepartner kann ein ähnliches Schicksal treffen, etwa nach einem Unfall oder schwerer Krankheit.

Durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Januar 2021 ist nun rechtssicher geklärt, dass Vorsorgevollmachten ausreichend sind und dem gesunden Ehepartner helfen können, sich vom Ehegattentestament zu lösen. Eine gerichtliche Betreuerbestellung, die viele scheuen würden, weil ein fremder Dritter auf einmal mitbestimmt, ist insoweit nicht notwendig. Ist eine ordnungsgemäße Vorsorgevollmacht – oft zugunsten eines Familienmitglieds – in Kraft, können Rücktritt und Widerruf des Ehegattentestamentes gegenüber dem Bevollmächtigten erklärt werden. Diese Vollmacht muss nicht notariell beurkundet sein. Eine privatschriftliche Vollmacht genügt, wenn außer Zweifel steht, dass der Vollmachtgeber im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung geschäftsfähig war.

Wichtig ist, die Vorsorgevollmacht so zu formulieren, dass sie auch Fälle des Widerrufs oder Rücktritts umfasst. Wichtig dürfte auch sein, für die genannten Fälle einen Bevollmächtigen oder einen Ersatzbevollmächtigten einzusetzen, der nicht der Ehepartner ist. Denn ist der Ehepartner der Bevollmächtigte des Handlungsunfähigen, dürften weiterhin Zweifel bestehen, ob der Widerruf oder Rücktritt möglich ist.

Die gute Nachricht ist also, dass mit einer gründlich vorbereiteten Vorsorgevollmacht dem gesunden Ehepartner der Weg zum Gericht erspart wird und das Ehegattentestament weiterhin die richtige Wahl sein kann. Nur mit einer Kombination aus Ehegattentestament und Vorsorgevollmacht wird dem bindenden Erbvertrag oder gemeinschaftlichen Testament der Charakter eines Würfelspiels genommen. Die gewünschte Bindung bleibt unangetastet und wird nur im Notfall gelockert. Gerichte müssen nicht eingeschaltet werden. Bei sorgsamer Formulierung beider Regelwerke können solche Situationen sogar ohne Notar und innerhalb der Familie gelöst werden.

Angesichts von ca. fünf Millionen registrierten und vermutlich ebenso viel nicht registrierten Vorsorgevollmachten ist das eine gute Botschaft, weil die Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht gestärkt und ihr Einsatzbereich vergrößert wird. Die Botschaft muss aber auch lauten: Zu einem Ehegattentestament gehört zwingend eine Vorsorgevollmacht. Beide Dokumente sollten dabei mehr als Standardmuster oder Vorlagen sein – nämlich professionell beraten, aufeinander abgestimmt und dem Einzelfall angepasst.