Misslungene Unternehmensnachfolge im Mittelstand: Alles zu spät?

§ 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG – ein möglicher Rettungsanker?

Der „Man-müßte-mal-Passiv“ (frei nach Axel Hacke) hat nicht nur im normalen Lebensalltag Konjunktur, sondern auch und gerade bei der Regelung des eigenen Erbfalls und damit bei vielen Unternehmern. Das Thema wird verdrängt, von tagesoperativ (scheinbar) wichtigeren Fragen überlagert und ist zudem – wenn man ehrlich zu sich ist - auch unangenehm. Geregelt ist demnach nichts. Der Erbfall tritt ein. Die Konsequenzen sind bisweilen fatal – und passen traurigerweise nicht zu den verfolgten persönlichen und familiären Zielvorstellungen des Unternehmers und seiner Familie.

Nur wenige rechtliche Änderungsmöglichkeiten bei schiefgelaufenen Erbfällen

Nach Eintritt des Erbfalls gibt es nur wenige gesetzliche Möglichkeiten, die dann eintretenden erbrechtlichen und erbschaftsteuerlichen Folgen zu korrigieren. Die erbrechtlichen Folgen nach dem Todesfall sind wegen der Höchstpersönlichkeit des Testierwillens des Verstorbenen grundsätzlich unverrückbar. § 9 Abs. 1 ErbStG bestimmt, dass für die Ermittlung der Erbschaftsteuer der Zeitpunkt des Todes des Erblassers maßgeblich ist. Nach dem gesetzlichen Regelmechanismus tritt demnach mit dem Tod des Erblassers ein Automatismus der Rechts- und Steuerfolgen ein.

Die Ausschlagung hilft nur begrenzt

Die wenigen Möglichkeiten, den gegebenen Status-Quo nach dem Erbfall nachträglich zu korrigieren, erweisen sich oft als ungeeignet und wenig interessensgerecht. Eine Erbausschlagung beispielsweise, um damit die gesetzliche Erbfolge oder die testamentarisch angeordnete Erbeinsetzung abzuändern, stößt schnell an gestalterische Grenzen und kollidiert oft mit persönlichen Zielvorstellungen. So muss beispielsweise der Ausschlagende seinen gesamten Erbteil ausschlagen, was meist mit dem finanziellen Absicherungsinteresse des Ausschlagenden unvereinbar ist. Außerdem beinhaltet das Gesetz einen nicht gestaltbaren Automatismus, wer an Stelle des Ausschlagenden dessen Erbteil erhält – was insbesondere dann, wenn minderjährige Kinder nach der gesetzlichen Erbfolge involviert sind, zu äußerst problematischen Konstellationen führen kann.

Ein Beispielsfall

Ein einfaches Beispiel, das die Problematik trefflich skizziert: Die Ehefrau des ohne Testament verstorbenen Unternehmers will zugunsten ihres als Unternehmensnachfolger vorgesehenen Sohnes ihren Erbteil ausschlagen. Jedoch nur bezogen auf das Unternehmen, da sie ansonsten kein eigenes Vermögen hat. Es gibt noch eine weitere Tochter. Eine Teilausschlagung nur bezogen auf den Betrieb und damit auf den Sohn ist gesetzlich nicht möglich. Nach der gesetzlichen Regelung geht der komplette mütterliche Erbteil (und damit auch der Anteil an der Firma) bei Ausschlagung auf beide Kinder über. Die mit dieser Konstellation verbundenen eventuellen negativen steuerlichen Folgen und Risiken sind hierbei noch gar nicht berücksichtigt. Die Erbausschlagung bringt demzufolge nichts und ist sogar kontraproduktiv.

Weitere retrospektiv wirkende gesetzliche Gestaltungsinstrumente sind rar und beinhalten meist restriktive Voraussetzungen, die schwer zu erfüllen sind.

§ 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG wird oft übersehen

Umso erstaunlicher, dass eine der wenigen zur Verfügung stehenden Gestaltungsmöglichkeiten zur Korrektur der erb- und erbschaftsteuerlichen Folgen des Todesfalls meist übersehen bzw. in die Überlegungen nicht miteinbezogen wird. Es ist dabei zuzugeben, dass diese Möglichkeit meist nur bei größeren Nachlassvermögen realistisch einsetzbar ist. Aber gerade bei der mittelständischen Unternehmensnachfolgeplanung ist wegen der seit 2016 geltenden sehr strengen Vorgaben des Erbschaftsteuergesetzes für die Übertragung von Unternehmensvermögen § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG eine überlegenswerte Gestaltungsoption, nicht nur zur Minimierung der erbschaftsteuerlichen Belastung, sondern insbesondere auch zur Umsetzung des familiären Willens für die Unternehmens- und Vermögensnachfolge sowie zur Anerkennung der unternehmerischen Lebensleistung der Familie.

§ 29 Abs.1 Nr. 4 ErbStG stellt Vermögensgüter erbschaftsteuerfrei, die nachträglich nach Eintritt des Erbfalls in eine gemeinnützige Stiftung eingebracht werden. Hierzu räumt der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen sogar eine nachlaufende Frist von 2 Jahren ein. Nachdem das seit 2016 geltende Erbschaftsteuergesetz nur noch wenige Möglichkeiten bietet, werthaltiges mittelständisches Unternehmensvermögen steuergünstig zu übertragen, rücken Nachfolgeregelungen, bei denen Stiftungen auch im Rahmen der lebzeitigen strukturierten Unternehmens- und Vermögensnachfolgeplanung ein wichtiges Gestaltungsinstrument sind, verstärkt in den Fokus. Hier spielen innovative Doppelstiftungsmodelle und mehrgliederige Unternehmensstrukturen eine wichtige Rolle. Die Berücksichtigung gemeinnütziger Stiftungen bedeutet demzufolge nicht, dass damit die Unternehmerfamilie die Kontrolle und den finanziellen Ertrag aus der Hand geben muss. Warum dies nicht auch noch nachträglich unter Anwendung des § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG bei nicht erwünschten Nachfolgekonstellationen im Todesfall nutzen?

Trotz des ungenauen Wortlauts: § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG bietet nachträgliche Heilungsmöglichkeiten für mißlungene Unternehmensnachfolgen

Leider ist der Wortlaut des § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG etwas unglücklich formuliert und führt deshalb in bestimmten Sachverhaltskonstellationen zu Anwendungsschwierigkeiten. Dies betrifft insbesondere das Erfordernis, dass der in die Stiftung eingebrachte Vermögensgegenstand nicht nur gegenständlich mit dem ererbten Wirtschaftsgut identisch sein muss, sondern zum Zeitpunkt der Übertragung auf die Stiftung den gleichen Wert haben sollte wie beim Erbfall. Dies beißt sich mit dem gesetzgeberischen Entgegenkommen der Einräumung einer nachlaufenden 2-Jahresfrist. Es ist lebensfern anzunehmen, dass ein Unternehmen oder Kapitalvermögen sich innerhalb von 2 Jahren nicht verändert. Man denke nur an Fondsvermögen mit Umschichtungen innerhalb des Portfolios oder geänderten Kapitalkonten der Gesellschafter bei Personengesellschaften. Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen. Bei richtiger Planung und Gestaltung lassen sich diese Klippen aber umschiffen. Denn mit guten Argumenten lässt sich begründen, dass bei richtiger Vorgehensweise die Einbringung von wertgleichen Surrogaten in eine Stiftung ebenfalls unter den Anwendungsfall des § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG fällt.

Die Beratungspraxis zeigt, dass die Finanzverwaltung dieser Argumentation gegenüber aufgeschlossen ist und offen ist für einen weiten Anwendungsbereich des § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG.

Wir freuen uns, Ihnen die Gestaltungsmöglichkeiten des § 29 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG in einem persönlichen Gespräch gerne näher zu erläutern!