Änderung anerkannter Regeln der Technik nach Vertragsabschluss – was nun?

Real Estate Praxistipp: OLG Koblenz, Urteil vom 31.05.2019, 6 U 1075/18; nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch BGH-Beschluss vom 15.04.2020, Az. VII ZR 152/19, rechtskräftig

Sofern im Bauvertrag nichts Abweichendes vereinbart ist, sichert der Auftragnehmer bei Vertragsschluss stillschweigend zu, dass das Werk bei der Abnahme diejenigen Qualitätsstandards erfüllt, die der vereinbarten Beschaffenheit und den im Zeitpunkt der Abnahme geltenden anerkannten Regeln der Technik entspricht. Dies gilt regelmäßig auch bei deren Änderung zwischen Vertragsschluss und Abnahme. Ein Zurückbleiben der Bauausführung hinter den anerkannten Regeln der Technik ist nur dann vertragsgerecht, wenn die Parteien eine entsprechende Vereinbarung getroffen haben. Deren Wirksamkeit setzt jedoch voraus, dass der Auftragnehmer den Auftraggeber auf die mit der Nichteinhaltung der anerkannten Regeln der Technik verbundenen Konsequenzen und Risiken hingewiesen hat.

Der Fall:

Der Auftragnehmer wird beauftragt, das Dach eines Seniorenzentrums einzudecken. Der Auftragnehmer versieht das Dach mit einem regensicheren Unterdach der Klasse 3 und schließt seine Arbeiten im November 2012 ab. Zu diesem Zeitpunkt entspricht das Unterdach dem Regelwerk des Zentralverbands des Deutschen Dachdeckerhandwerks. Im Dezember 2012 wird dieses Regelwerk verschärft. Nach seiner Neufassung hätte der Auftragnehmer ein wasserdichtes Unterdach der Klasse 1 ausführen müssen. Der Bauherr verweigert die Abnahme und macht geltend, die Dacheindeckung sei nicht abnahmereif, weil das Unterdach lediglich regensicher, nicht aber wasserdicht ausgeführt wurde. Die Klage des Auftragnehmers auf seinen Restwerklohn i.H.v. rund 75.000 Euro bleibt aus folgenden Gründen erfolglos:

  • Die Fälligkeit des Werklohns setzt voraus, dass die Leistung abgenommen wurde. Eine Abnahme der Arbeiten ist jedoch nicht erfolgt. Die Werkleistung des Auftragnehmers ist wegen nicht nur unwesentlicher Mängel auch nicht abnahmereif.

  • Für die Beurteilung der Frage, ob ein Mangel vorliegt, kommt es auf die anerkannten Regeln der Technik zum Zeitpunkt der Abnahme an. Fehlt es an einer Abnahme, sind die Regeln als vereinbart anzusehen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gelten.

  • Etwas anderes gilt nur, wenn der Auftragnehmer nachweisen kann, den Bauherrn auf die Bedeutung der allgemein anerkannten Regeln der Technik, auf deren Änderung und auf die mit der Nichteinhaltung der geänderten Regeln verbundenen Konsequenzen und Risiken hingewiesen zu haben, es sei denn, diese sind dem Bauherrn bekannt oder ergeben sich ohne Weiteres aus den Umständen. Ohne eine entsprechende Kenntnis kommt eine wirksame Zustimmung des Bauherrn zu einer hinter den allgemein anerkannten Regeln der Technik zurückbleibenden Ausführung regelmäßig nicht in Betracht.

PSP-Praxistipps:
  • Stellt das Zurückbleiben der Leistung hinter den bei Abnahme gültigen anerkannten Regeln der Technik keinen wesentlichen Mangel dar, ist der Bauherr (anders als in dem hier vorgestellten Fall) nicht zur Verweigerung der Abnahme berechtigt. Ein Mangel ist unwesentlich, wenn es dem Besteller zumutbar ist, die Leistung als im wesentlichen vertragsgemäße Erfüllung anzunehmen und sich mit den Mängelrechten gemäß § 634 BGB zu begnügen. Dies ist anhand von Art und Umfang des Mangels sowie seiner konkreten Auswirkungen nach den Umständen des Einzelfalls unter Abwägung der beiderseitigen Interessen zu beurteilen. Dabei ist zu Gunsten des Bauherrn zu berücksichtigen, dass die Einhaltung der in einem Regelwerk niedergelegten allgemein anerkannten Regeln der Technik nach der Verkehrsauffassung grundsätzlich von erheblicher Bedeutung ist. Für die Bejahung eines wesentlichen Mangels muss jedoch u.a. ein konkretes Interesse des Bauherrn an einem diesen Regeln entsprechenden Werk hinzukommen. Bei wesentlichen konstruktiven Unterschieden zwischen vorgeschriebener und tatsächlicher Ausführung dürfte dies regelmäßig zu bejahen sein, bei lediglich geringfügigen optischen Beeinträchtigungen dagegen nicht. Im Falle einer nur unwesentlichen Herabsetzung der Tauglichkeit des Werks wegen nicht regelkonformer Ausführung ist der Bauherr zwar verpflichtet, die Bauleistung abzunehmen. Er kann wegen dieses Mangels aber die üblichen Gewährleistungsrechte ausüben und Gewährleistungsansprüche geltend machen.

  • Stellt der Auftragnehmer vor Abschluss seiner Leistungen fest, dass die ursprünglich vereinbarte Ausführungsart nicht mehr den anerkannten Regeln der Technik entspricht, die im Zeitpunkt des Abschlusses des Bauvertrags galten (etwa weil die im Bauvertrag konkret vereinbarte Ausführungsart oder der im Leistungsverzeichnis genannte Baustoff nicht mehr der neuesten Norm entspricht), ist es aus seiner Sicht geboten, in einer zur Vorlage beim Gericht geeigneten Form zu dokumentieren, dass er den Bauherrn über die Änderung sowie die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Ausführungsarten bzw. Baustoffe umfassend informiert hat. 

  • Der Bauherr hat dann im Regelfall zwei Optionen: Er kann die Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik fordern. Der Auftragnehmer darf, soweit hierfür Leistungen erforderlich werden, die nicht von der Vergütungsvereinbarung erfasst sind, im Regelfall eine Vergütungsanpassung verlangen. Der Bauherr kann alternativ aber auch von der Einhaltung der neuen allgemein anerkannten Regeln der Technik und damit von einer etwaigen Verteuerung des Bauvorhabens absehen. Dem Auftragnehmer obliegt im Streitfall der Nachweis dafür, dass der Bauherr -- nach hinreichender Aufklärung -- die vom Auftragnehmer behauptete Möglichkeit gewählt hat.

  • Für den Auftragnehmer lassen sich die aufgezeigten Probleme für durch eine – in der Praxis häufige – bauvertragliche Vereinbarung vermeiden, nach welcher die Leistungen den anerkannten Regeln entsprechen müssen, die zu einem (u.U. lange) vor der Abnahme liegenden Zeitpunkt (etwa bei Abschluss des Bauvertrages oder aber bei Ausführung der Leistung) gelten. Nach aktueller Rechtsauffassung soll dies auch formularvertraglich wirksam vereinbart werden können. Mit Unterzeichnung einer solchen Vereinbarung verzichtet der Bauherr bereits im Vorhinein pauschal auf die Einhaltung der (höheren) Qualitätsanforderungen, die andernfalls möglicherweise bei Abnahme des Werks gelten würden. Aber auch für den Auftragnehmer kann eine solche von ihm eingeführte Vereinbarung im Einzelfall nachteilig sein, wenn die VOB/B Grundlage des Bauvertrags sein soll und der Bauherr kein Verbraucher ist. Denn mit ihr wird von § 13 Abs. 1 VOB/B abgewichen. Die VOB/B ist nicht mehr „als Ganzes“ vereinbart. Für den Auftragnehmer günstige Bestimmungen der VOB/B binden seinen Vertragspartner, den Bauherrn, daher nur, soweit sie diesen für sich allein genommen nicht unangemessen benachteiligen und deshalb AGB-rechtlich unwirksam sind (§ 310 Abs. 1 BGB).