Pauschalpreis schützt nicht immer vor Nachforderung!

Real Estate Praxistipp: OLG München, Urteil vom 17.09.2019, 28 U 945/19 Bau; nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch BGH-Beschluss vom 15.04.2020, Az. VII ZR 232/19, rechtskräftig

Ein Bauvorhaben zu einem fixen Pauschalpreis zu vergeben, erleichtert dem Bauherrn die Kalkulation seiner Kosten. Denn die Höhe der zu zahlenden Vergütung steht mit Unterzeichnung des Bauvertrages, in dem die pauschale Summe beziffert ist, fest. Der Auftragnehmer verpflichtet sich, zu diesem Preis einen vertraglich konkretisierten Leistungserfolg herbeizuführen. Grundsätzlich sind damit alle Einzelleistungen abgegolten, die zur Herstellung der vereinbarten Leistung gehören und für diese erforderlich sind. Die Abrechnung gestaltet sich einfach und erfordert nicht die beim Einheitspreisvertrag notwendige detaillierte Darstellung der einzelnen Teilleistungen nach Flächen- oder Raummaß, Gewicht oder Stückzahl. Doch Vorsicht: Insbesondere bei einem sog. Detail-Pauschalpreisvertrag sind Nachforderungen des Auftragnehmers keineswegs ausgeschlossen!

Der Fall:

Der Bauherr beauftragt den Auftragnehmer mit dem Abriss einer Ferienanlage zum „Pauschalpreis“ von € 1,075 Mio. Dem Vertrag liegt ein 80-seitiges sehr detailliertes Leistungsverzeichnis zugrunde. Mit Wissen und Billigung des Bauherrn erbringt der Auftragnehmer auch Leistungen, die darin nicht aufgeführt, aber notwendig sind. Insbesondere entsorgt er kontaminierten Bauschutt, dessen Vorhandensein der vom Bauherrn beauftragte Privatgutachter vor Erstellung des Leistungsverzeichnisses nicht festgestellt hatte. Für diese zusätzlichen Leistungen verlangt der Auftragnehmer weitere rund € 650.000. Unter Verweis auf die Pauschalpreisabrede verweigert der Bauherr die Zahlung dieser Mehrkosten. Im Ergebnis ohne Erfolg:

Die Baupraxis unterscheidet - mit Modifikationen - zwei Grundtypen des Pauschalpreisvertrages:

Bei einem Detail-Pauschal(preis)vertrag schuldet der Auftragnehmer nur die Leistungen, die in der Leistungsbeschreibung ausdrücklich als Hauptleistung benannt sind. Das Leistungsverzeichnis definiert das „Vertragssoll“ bzw. das „Bausoll“ abschließend. Das Risiko seiner Unvollständigkeit trägt der Bauherr. Der Auftragnehmer riskiert lediglich, die für die Erfüllung dieses Leistungssolls benötigten Mengen und Massen zu niedrig ermittelt und nur deshalb die Vergütung zu gering bemessen zu haben. Erhöhungen aus anderen Gründen bleiben aber möglich.

Beim Global-Pauschal(preis)vertrag stellt der Bauherr dem Auftragnehmer lediglich Pläne zur Verfügung, die als funktionale Leistungsbeschreibung das Bausoll vorgeben, oder er beschreibt die Leistung nur schlagwortartig (z.B. mit „Abbruch einer Ferienanlage, bestehend aus 48 Bungalows“). Der Auftragnehmer schuldet dann all das, was bei einer detaillierten Leitungsbeschreibung von vornherein hätte festgelegt werden müssen, um das versprochene Leistungsziel zu erreichen. Er plant und entscheidet nach billigem Ermessen selbst, in welcher Art und mit welchen Materialien er diese Leistungen unter Berücksichtigung der Genehmigungsplanung und der anerkannten Regeln der Technik ausführt. Ein Teil der Planung wird also vom Auftraggeber auf den Auftragnehmer verlagert. Wird vom Auftragnehmer auf der Grundlage solcher Pläne ein Angebot kalkuliert und abgegeben, übernimmt er das volle Kalkulationsrisiko – über das Mengen- und Massenrisiko hinaus also insbesondere auch dafür, dass alle zur Herbeiführung des vereinbarten Werkerfolgs benötigten Leistungen ihrer Art nach in der Kalkulation berücksichtigt sind.

In dem oben geschilderten Fall handelt es sich nach den Feststellungen des Gerichts um einen Detail-Pauschalpreisvertrag. Die im Leistungsverzeichnis nicht aufgeführten, aber notwendigen Leistungen sind daher zusätzlich zum vereinbarten Pauschalpreis zu vergüten.

PSP-Praxistipps:

Wichtig ist zunächst: Dafür, welcher Vertragstyp vorliegt, ist allein die Bezeichnung des Vertrages nicht entscheidend! Ob ein Detail-Pauschalvertrag oder ein Global-Pauschalvertrag abgeschlossen werden sollte, ist vielmehr anhand aller Umstände des konkreten Einzelfalles zu beurteilen.

  • Besonders aussagekräftig sind der Detailgrad und die Detailtiefe des Leistungsverzeichnisses: Je detaillierter ein Leistungsverzeichnis ist, desto eher besteht die Vermutung, dass das Vertragssoll aus der Leistungsbeschreibung folgt – mit dem sich hieraus ergebenden Unvollständigkeitsrisiko des Bauherrn.

  • Weitere Kriterien sind etwa die Bezugnahme auf Gutachten Dritter und die gewollte Verteilung der Risiken zwischen beiden Parteien, so wie sie im Bauvertrag auch an anderen Stellen zum Ausdruck kommt.

  • Auch die Umstände des Vertragsschlusses können in diesem Zusammenhang bedeutsam sein: Nicht selten beabsichtigen die Parteien nachweislich zunächst den Abschluss eines Einheitspreisvertrages, für den im Leistungsverzeichnis alle Leistungen ihrer Art nach angegeben und mit Preisen je Einheit einer Leistung (z.B. je Stück, je m oder je qm) versehen sein müssen, vereinbaren aber schließlich, die sich durch Multiplikation des Einheitspreises mit der ausgeführten Menge/Masse ergebenden Kosten durch eine „Pauschalpreisabrede“ zu reduzieren oder zu deckeln. In solchen Fällen spricht viel für die Annahme eines Detail-Pauschalvertrages.

Will der Bauherr dem Auftragnehmer die Wahl der Ausführungsart und Materialien nicht völlig überlassen, andererseits aber auch nicht das Risiko von Nachforderungen – wegen Unvollständigkeit seines Leistungsverzeichnisses – eingehen, kann wie folgt vorgegangen werden: Einem Globalpauschalvertrag wird zwar ein Leistungsverzeichnis zugrunde gelegt, dieses wird jedoch ergänzt durch eine vertragliche Abrede, durch die sich der Auftragnehmer verpflichtet, (darüber hinaus) alle zur Erreichung des vertraglich geschuldeten Erfolgs erforderlichen Leistungen zu erbringen. Eine solche „Komplettheitsklausel“ kann allerdings nicht einseitig vom Bauherrn als vorformulierte Vertragsbedingung gestellt werden, denn nach der Rechtsprechung benachteiligt dies den Auftragnehmer unangemessen. Um wirksam zu sein, muss eine solche Klausel vielmehr mit dem Auftragnehmer individuell ausgehandelt werden. Zu Nachweiszwecken sollte dokumentiert werden, dass dies geschehen ist (etwa durch Aufnahme in das Verhandlungsprotokoll, das zum Bestandteil des Bauvertrages gemacht wird).