Auswirkungen der Zinswende auf die handelsrechtliche Bilanzierung (Teil I)

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Jahr 2022 als Reaktion auf steigende Inflationsraten in der Eurozone damit begonnen, die Leitzinsen anzuheben. Nach mehreren Zinsschritten liegt der wichtigste Leitzins der EZB, der Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft, mit 4,50 % mittlerweile deutlich über den 0,00 %, die noch zu Beginn des Jahres 2022 galten.

Im Zuge der Anhebung der Leitzinsen durch die EZB sind auch die risikolosen Zinssätze, die aus Renditen von Anleihen der öffentlichen Hand abgeleitet werden, deutlich gestiegen. Aktuell beläuft sich der risikolose Basiszinssatz auf 2,75 %, während er zu Beginn des Jahres 2022 noch bei 0,10 % lag. Zudem haben sich auch die Kosten für die Fremdkapitalbeschaffung erhöht. Das höhere Zinsniveau wirkt sich in den Unternehmensbilanzen an verschiedenen Stellen aus. Betroffen sind insbesondere Unternehmensbeteiligungen, Geschäfts- und Firmenwerte, langfristige Forderungen und Rückstellungen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Auswirkungen sich daraus bei der handelsrechtlichen Bilanzierung ausgewählter Posten ergeben.

Bei Unternehmensbeteiligungen wird der beizulegende Wert zum Bilanzstichtag in der Regel mithilfe anerkannter Bewertungsverfahren wie dem Ertragswertverfahren oder dem WACC-FCF-Verfahren ermittelt. Beiden Verfahren ist gemeinsam, dass sich der Unternehmenswert durch Diskontierung der erwarteten finanziellen Überschüsse mit den Kapitalkosten errechnet. Durch den Anstieg des Zinsniveaus erhöhen sich die Eigen- und die Fremdkapitalkosten, wodurch die Unternehmenswerte sowohl nach dem Ertragswertverfahren als auch nach dem WACCFCF-Verfahren – unter sonst gleichen Bedingungen – sinken. Falls die ermittelten Werte unter den bisherigen Buchwerten liegen, besteht grundsätzlich eine Abwertungspflicht. Für Finanzanlagen wird dem Bilanzierenden handelsrechtlich im Falle einer nur vorübergehenden Wertminderung ein Abwertungswahlrecht eingeräumt (§ 253 Abs. 3 Satz 6 HGB).

Die sich aus dem Anstieg des Zinsniveaus ergebenden Auswirkungen auf den Unternehmenswert sind nicht zu unterschätzen, wie folgendes Beispiel zeigt: Aktuell belaufen sich die Eigenkapitalkosten vor persönlichen Steuern – die sich aus dem risikolosen Basiszinssatz und der Risikoprämie zusammensetzen – bei Ansatz einer Risikoprämie von 7,00 % auf 9,75 %. Daraus ergibt sich im Ertragswertverfahren ein Kapitalisierungsfaktor von rund 10,3. Zu Beginn des Jahres 2022 lagen die Eigenkapitalkosten vor persönlichen Steuern bei gleicher Risikoprämie noch bei 7,10 %, was umgerechnet einem Kapitalisierungsfaktor von 14,1 entspricht. Daraus folgt, dass sich die Unternehmenswerte seit Anfang 2022 – unter sonst gleichen Bedingungen – um rund 25 % verringert haben.

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Risikoprämie von 7,00 % dem Mittelwert der derzeitigen Bandbreitenempfehlung des Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) des IDW für Marktrisikoprämien vor persönlichen Steuern entspricht (6,00 % bis 8,00 %). Das IDW hat die Bandbreitenempfehlung zuletzt im Oktober 2019 angepasst. Damals war ein deutlich gesunkenes Zinsniveau Auslöser für eine Anhebung der Ober- und Untergrenze der Bandbreitenempfehlung. Es bleibt abzuwarten, ob der FAUB seine Empfehlungen angesichts der aktuellen Zinsentwicklungen wieder nach unten korrigieren wird.

Das oben genannte WACC-FCF-Verfahren wird auch zur Ermittlung des beizulegenden Werts bei derivativen Geschäfts- oder Firmenwerten verwendet. Insofern lassen sich die Überlegungen zur Bewertung von Unternehmensbeteiligungen auch auf die Beurteilung der Werthaltigkeit von Geschäftsoder Firmenwerten übertragen. Im Ergebnis erhöhen steigende Zinsen die Wahrscheinlichkeit außerplanmäßiger Abschreibungen von Geschäfts- oder Firmenwerten. Zu beachten ist jedoch, dass die Wertberichtigung auf Geschäfts- oder Firmenwerte handelsrechtlich nur bei einer voraussichtlich dauernden Wertminderung zulässig ist (§ 253 Abs. 3 Satz 5 HGB).