Im Netz auf ewig gefangen?

Durch Regelung der Vorsorge und Nachfolge betreffend digitalen Nachlass Auswege eröffnen!

Die Zahl der Menschen, in deren Leben Smartphones, Laptops und Tablets, E-Mail-Accounts, Onlinebanking, Konten bei Online-Shops, Internet-Foren, Mitgliedschaften in sozialen Netzwerken etc. keinerlei Rolle spielen, sinkt kontinuierlich und rasant. In zunehmendem Maße ersetzen auf dem PC gespeicherte Daten herkömmliche Aktenordner, E-Mails den schriftlichen Briefverkehr, Inhalte von Smartphones und Clouds Fotoalben, iTunes die Plattensammlung, Audible und Kindle die Büchersammlung, Blogs althergebrachte Tagebuchaufzeichnungen und Kryptowährungen wie Bitcoins Bar- und Buchgeld. Durch ein Grundsatzurteil vom 12.07.2018 (Az. III 183/17) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die schlagwortartig als „digitaler Nachlass“ bezeichnete Gesamtheit der Rechtsverhältnisse einer Person betreffend informationstechnische Systeme einschließlich der gesamten elektronischen Datenbestände dieser Person Teil ihres Nachlasses ist und damit – ungeachtet anderslautender Nutzungsbedingungen der Provider – ihren Erben zusteht. Diese Entwicklung stellt Bevollmächtigte, Betreuer, Erben und Testamentsvollstrecker vor neue und keineswegs gering zu schätzende Herausforderungen.

Diese Dritten sind nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, alle PCs, Smartphones und sonstige Speichermedien in Besitz zu nehmen, die digitalen Inhalte zu sichten und sie ggf. zu sichern, um Nachlassverbindlichkeiten (z. B. auf PayPal-Konten oder bei Internet-Verkäufern) und Vermögenswerte (z. B. Auslandskonten, Auslandsimmobilien, Ansprüche gegen Versicherungen, Online-Guthaben, Internetwährungsbestände wie etwa Bitcoins u. Ä.) aufzuspüren, diese nach dem Erbfall in Nachlassverzeichnissen und Erbschaftsteuererklärungen zum Ansatz zu bringen und sämtliche Vertragsbeziehungen abzuwickeln. Dazu ist es ihnen auch gestattet, sich zu passwortgesicherten Daten durch Hacken Zugang zu verschaffen. Wer die dafür benötigten Kenntnisse nicht besitzt, darf sich hierzu professioneller Unterstützung bedienen.

Die Nichterfüllung dieser Verpflichtungen begründet erhebliche Risiken der Haftung z. B. gegenüber Gläubigern, (Mit-)Erben und Pflichtteilsberechtigten.

Bei der Bewältigung dieser Aufgabe gilt es allerdings massive Schwierigkeiten zu überwinden. Hat etwa der Anbieter des kostenlosen E-Mail-Accounts vom Nutzer keinen Identitätsnachweis verlangt oder erfolgte die Anmeldung des Nutzers unter einem Pseudonym, müssen die berechtigten Dritten nicht nur ihre Berechtigung zur Verfügung über Accounts und Daten nachweisen, sondern obliegt ihnen zudem der in solchen Fällen häufig schwierige Nachweis, dass diese Accounts und Daten tatsächlich zum Vermögen des Vollmachtgebers, des zu Betreuenden oder des Erblassers gehören. Sehr häufig verweigern Provider Berechtigten selbst dann, wenn die genannten Nachweise geführt werden konnten, den Zugriff und berufen sich hierzu auf entgegenstehende Nutzungsbedingungen, über deren Wirksamkeit dann zunächst mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand gestritten werden muss.

Hat ein Provider – wie oft – seinen Sitz im Ausland, ist noch weitgehend ungeklärt, unter welchen Umständen die Berechtigten gezwungen sein könnten, Prozesse gegen ihn im Ausland nach dem Recht des Staates zu führen, in welchem er ansässig ist. Selbst wenn eine Klage in Deutschland zulässig ist, bedarf die Formulierung der Klageanträge ganz besonderer Sorgfalt, damit das mit ihnen verfolgte Ziel auch tatsächlich erreicht wird. Haben die Berechtigten endlich eine rechtskräftige Entscheidung erwirkt, bereitet die Vollstreckung im Ausland weitere zum Teil bis heute praktisch noch kaum zu überwindende Probleme.

An diesem unerfreulichen Status quo vermag es auch nicht viel zu ändern, dass der Bundesgerichtshof in der eingangs genannten Grundsatzentscheidung vom 12.07.2018 jedenfalls für den Bereich des deutschen Zivilrechts eine ganze Reihe von bis dahin höchst strittigen Rechtsfragen geklärt hat:

Das Recht an den gespeicherten Dateien folgt dem Recht an dem Speichermedium bzw. dem Recht an dem Vertrag mit dem Anbieter eines externen Speichermediums wie z. B. einer Cloud. Das heißt, wer Eigentümer der Festplatte, eines Laptops, eines Smartphones oder eines sonstigen lokalen Speichermediums bzw. Inhaber eines Accounts ist, darf auch über die darauf gespeicherten Daten verfügen, d. h. sich Zugang zu ihnen verschaffen, sie einsehen, sie verändern, über ihre Herausgabe an Dritte oder über ihre Löschung entscheiden. Datenschutzrechte des Erblassers oder seiner Kommunikationspartner stehen der Herausgabe der Daten an die Erben ebenso wenig entgegen wie das Fernmeldegeheimnis oder das Briefgeheimnis.

Glaubt ein Dritter, hinsichtlich der Inhalte dieser Daten (z. B. Fotos) etwa aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, aus vertraglichen Regelungen oder unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten Herausgabe-, Löschungs-, oder sonstige Ansprüche herleiten zu können, muss er diese zu Lebzeiten des Erblassers gegenüber diesem und nach dem Erbfall gegen seinen Nachlass geltend machen. Der vom Bundesgerichtshof festgestellten Vererblichkeit der Daten stehen solche Rechte Dritter jedoch nicht entgegen.

Entgegen einer weit verbreiteten Annahme haben auch Angehörige des verstorbenen Nutzers, die nicht Erben geworden sind, nach derzeit herrschender Meinung grundsätzlich keinen Anspruch auf die Daten oder auf Zugang zu ihnen. Dies gilt auch für höchstpersönliche digitale Inhalte. Den Angehörigen können allenfalls ausnahmsweise Abwehransprüche gegen die Erben oder Provider zustehen, etwa wenn diese bestimmte Informationen nicht löschen (lassen), obwohl der Erblasser dies angeordnet hat, oder wenn die Menschenwürde des Verstorbenen durch einen dem (mutmaßlichen) Willen des Erblassers zuwiderlaufenden Umgang mit seinen Daten nicht lediglich berührt, sondern verletzt wird.

Viele Fragen zum Umgang mit dem digitalen Nachlass sind bislang jedoch noch nicht abschließend geklärt. Insbesondere liegen bislang lediglich vereinzelte Gerichtsentscheidungen dazu vor. Daher besteht insoweit noch erhebliche Rechtsunsicherheit. Nicht zuletzt, um die daraus resultierenden Schwierigkeiten der oben nur beispielhaft erwähnten Art so weitgehend wie möglich zu vermeiden, empfiehlt es sich dringend, die Rechte und Pflichten von Bevollmächtigten, Betreuern, Erben und Testamentsvollstreckern beizeiten möglichst umfassend und präzise zu regeln und zugleich weitere Vorkehrungen zu treffen, die den Berechtigten die Erfüllung ihrer Aufgaben ermöglichen bzw. erleichtern.

PSP-Praxistipps
  • Als durchaus hilfreich kann sich eine Liste aller elektronischen Accounts nebst Zugangsdaten dazu erweisen. Diese müsste allerdings laufend aktualisiert und zur Nutzung durch die im Ernstfall dazu Berechtigten an einem geschützten Ort deponiert werden, zu dem (nur) die Berechtigten Zugang haben (also keinesfalls einem Testament als Anlage beigefügt werden, da sie mit Eröffnung des Testaments einer Vielzahl von Personen, z. B. auch Vermächtnisnehmern und Pflichtteilsberechtigten, bekannt würde). Da die Sicherheit der Daten die häufige Änderung der Zugangsdaten erfordert, dürfte es in der Praxis allerdings kaum möglich sein, diese Liste stets auf dem aktuellen Stand zu halten. Sie nutzt außerdem nichts, soweit der Zugang zu Daten die zunehmend verbreitete Legitimation durch Fingerabdruck oder Gesichtserkennung erfordert.

  • Praktisch von erheblicher größerer Bedeutung ist es daher, die Berechtigten durch gut formulierte Vollmachten dazu zu ermächtigen, über sämtliche Accounts zu verfügen, insbesondere von den Providern Auskünfte über das Bestehen von Accounts zu verlangen, Zugangsdaten anzufordern und zu ändern und die Verwendung der Accounts und der gespeicherten Daten zu bestimmen.

  • Wer vermeiden möchte, dass seine Bevollmächtigten, Betreuer, Erben und Testamentsvollstrecker beim Durchforsten seines digitalen Nachlasses auf seine intimsten Geheimnisse stoßen, sollte sich schon frühzeitig eine gewisse „Datenhygiene“ zu eigen machen und in regelmäßigen Zeitabständen alle Daten löschen, von denen niemand außer ihm jemals Kenntnis erlangen soll.

  • In seinen letztwilligen Verfügungen kann der Nutzer anordnen, wie mit seinem digitalen Nachlass verfahren werden soll. Vor allem dann, wenn er den Zugriff seiner Erben darauf beschränken oder ausschließen möchte, bietet es sich an, eine Person seines Vertrauens zum Testamentsvollstrecker zu bestellen und diesem die Abwicklung des digitalen Nachlasses unter Beachtung der vom Erblasser geäußerten Wünsche aufzuerlegen. Zum Beispiel kann der Testamentsvollstrecker angewiesen werden, alle (oder auch nur bestimmte) Accounts und Daten löschen zu lassen, sobald diese zur Erfüllung seiner sonstigen Aufgaben der vollständigen Nachlassabwicklung nicht mehr benötigt werden.

  • Einige Provider (z. B. Google) bieten die Nutzung eines sogenannten „Kontoinaktivitäts-Managers“ oder vergleichbarer Instrumente an. Durch deren Aktivierung kann der Nutzer die Provider anweisen, seine Daten zu löschen oder (nur) bestimmten Personen zugänglich zu machen, wenn das Konto innerhalb eines vom Nutzer festzulegenden Zeitraums nicht genutzt wurde.

  • Die Erledigung seiner Angelegenheiten nach Eintritt seiner Handlungs- und/oder Geschäftsunfähigkeit und die Abwicklung seines Nachlasses lassen sich außerdem dadurch erleichtern, dass E-Mails, Vertragsunterlagen etc. – statt wie früher in physischen Ordnern – vom Nutzer gut strukturiert in korrekt bezeichneten elektronischen Akten abgelegt werden.