BFH: Handelsunternehmen unterliegen nicht dem 90 %-Einstiegstest Paradigmenwechsel bei der Unternehmensnachfolge

Im Rahmen von Unternehmensnachfolgen kommt es stichtagsbedingt immer wieder zu sehr hohen Erbschaftsteuerlasten. Ursache ist nicht selten das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“, indiziert durch den 90 %-Test. Der BFH hat diese Regelung mit einem aktuell ergangenen Urteil zwar etwas entschärft, allerdings ergeben sich auch weiterhin Angriffspunkte für die Finanzverwaltung, die im Rahmen einer Unternehmensnachfolge Berücksichtigung finden müssen.

Alles oder Nichts – Ein bekanntes Ärgernis

Dem aktuellen Urteil liegt ein Fall zugrunde, in welchem ein Vater seinem Sohn einen GmbH-Anteil geschenkt hat. Die GmbH war dabei als Handelsunternehmen tätig. Aufgrund der für Handelsunternehmen typischen Konstellation, dass hohe Finanzmittel (insb. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen) den Unternehmenswert bei weitem überstiegen, wurde das „Alles-oder-Nichts-Prinzip“, auch bekannt als der 90 %-Test ausgelöst. Dabei wird das Verwaltungsvermögen zzgl. der Finanzmittel dem Unternehmenswert gegenübergestellt. Werden dabei 90 % des Unternehmenswerts überschritten, scheidet die erbschaftsteuerliche Verschonung für betriebliches Vermögen insgesamt aus.

Im vorliegenden Fall kam es wie es kommen musste: Obwohl die übertragene GmbH neben den Finanzmitteln aus nahezu vollständig begünstigtem Vermögen bestand, welches im Rahmen der sog. Optionsverschonung steuerfrei übertragen werden konnte, führte die Anwendung des 90 %-Tests zu einer hohen Steuerlast. Dies liegt systematisch insbesondere darin begründet, dass bei der Berechnung dieser Quote Verbindlichkeiten nicht vorab abgezogen werden dürfen. Entsprechend werden hier die berühmten „Äpfel mit Birnen“ verglichen. Dabei ist dies gerade bei Handelsunternehmen mit hohen Forderungen und zugleich eher geringen Margen und damit geringen Unternehmenswerten ein bekanntes Ärgernis in der steuerlichen Praxis.

Entscheidung des BFH

Mit dem am 14. Dezember 2023 veröffentlichten und lange erwarteten Urteil vom 13. September 2023 (BFH II R 49/21) hat der BFH die Vorentscheidung des FG Münster vom 24. November 2021 (Az. 3 K 2174/19 Erb) erfreulicherweise bestätigt. Der BFH legt das Gesetz systematisch, historisch und teleologisch dahingehend aus, dass zumindest bei typischen Handelsunternehmen für den 90 %-Test die betrieblich veranlassten Schulden von den Finanzmitteln (also insb. Forderungen) in Abzug zu bringen sind. Damit wird erreicht, dass im 90 %-Test nun „Gleiches mit Gleichem“ in Beziehung gesetzt wird und eine Vielzahl von Handelsunternehmen von den Verschonungsmöglichkeiten des Betriebsvermögens im Rahmen der Unternehmensnachfolge profitieren können.

Einschränkung auf „typische Handelsunternehmen“

Da es sich bei dem 90 %-Test dem Grunde nach um eine Missbrauchsvermeidungsnorm handelt, hat der BFH die Schuldverrechnung nur restriktiv für „typische Handelsunternehmen“, deren Hauptzweck eine gewerbliche Tätigkeit ist, zugelassen. Auch betrifft das Urteil nur eine GmbH. Schließlich entscheidet der BFH stets nur den jeweiligen Urteilssachverhalt. Eine weitergehende Anwendung bleibt letztlich dem Gesetzgeber vorbehalten, der die entsprechende Norm ändern könnte.

Der BFH betonte im Übrigen nochmals den Zweck der Norm in Form der Missbrauchsvermeidung. Er erspart den Steuerpflichtigen folglich nicht den Hinweis, dass hilfsweise eine missbräuchliche rechtliche Gestaltung (§ 42 AO) vorliegen könnte, wenn im Einzelfall sich ein Unternehmen die „Begünstigung erschleichen“ wollte.

Weitere Entwicklung

Die Reaktion der Finanzverwaltung auf das vorliegende Urteil darf mit Spannung erwartet werden, auch weil der BFH ergänzend verfassungsrechtliche Gründe für seine Gesetzesauslegung anführt. Dies könnte die Verwaltung zum Anlass nehmen, das Urteil durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen. Bei diesem sind derzeit ohnehin einige Verfahren zur Erbschaftsteuer anhängig.

Sollte die Finanzverwaltung dieses Mittel nicht wählen, wird sie das Urteil jedoch nicht unkommentiert stehen lassen können. Es handelt sich schließlich um einen Paradigmenwechsel im Rahmen der Unternehmensnachfolge. Aufgrund der ansonsten überwiegend restriktiven Gesetzesauslegungen der Finanzverwaltung kann allerdings nicht mit einer allgemeingültigen über das Urteil hinausgehenden Gesetzesinterpretation gerechnet werden. Möglicherweise droht gar ein Nichtanwendungserlass der Finanzverwaltung, der den Steuerpflichtigen stets dazu zwingen würde, sein vom BFH zugesprochenes Recht im Klageweg zu verfolgen. Jedenfalls aber sollten entsprechende Fälle mit dem Einspruch offen gehalten werden.

PSP-Praxistipp

Aus erbschaft- und schenkungsteuerlicher Sicht bleibt die Unternehmensnachfolge ein komplexes Feld. Die aktuell vom BFH „gekippte“ Berechnungsmethodik des 90 %-Tests sollte sich auch auf gewerblich tätige Unternehmen insgesamt übertragen lassen. So ist nicht ersichtlich, warum die Auslegung nur für „typische Handelsunternehmen“ oder gar nur Kapitalgesellschaften gelten sollte, wenn im Übrigen kein Rechtsmissbrauch vorliegt.

Bei näherem Hinsehen weist das nun zu Gunsten der Steuerpflichtigen gefällte Urteil des BFH jedoch auch einige Tücken auf. Gerade die frühzeitige Planung von Übertragungen kann entsprechende Risiken und damit einhergehende hohe Steuerlasten signifikant verringern. Im Rahmen der laufenden Beratung sollten entsprechende Zweifelsfragen ggfs. bereits im Vorfeld einer geplanten Übertragung mit der Finanzverwaltung erörtert werden.