Erster Überblick: Referentenentwurf des Wachstumschancengesetzes (WCG)

Das Bundesfinanzministerium hat einen (vorläufigen bzw. noch nicht zwischen den Ressorts abgestimmten) Referentenentwurf eines Wachstumschancengesetzes datiert auf den 6. Juli 2023 erstellt, der verschiedenen Verbänden und Medien übermittelt wurde. Das Gesetz sieht zahlreiche steuerliche Änderungen vor und soll Unternehmen insgesamt um ca. 6,7 Mrd. entlasten. Neben Steuererleichterungen, die zu Wachstumschancen führen sollen, beinhaltet der Gesetzentwurf aber auch einige neue steuerliche „Folterinstrumente“ für Unternehmen, wie beispielsweise die Zinshöhenschranke oder die Mitteilungspflicht für innerstaatliche Steuergestaltungen.

Ziele des Gesetzesvorhabens

Um den negativen wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Krisen (Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine, demographischer Wandel und Klimakrise) entgegenzusteuern, hat das BMF einen Gesetzesvorschlag erarbeitet, der Wachstum, Investition und Innovationen fördern soll. Diese Ziele werden auch im Namen des Gesetzes reflektiert, das als „Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness“ seinen Weg durch die Instanzen finden soll.

Darüber hinaus sollen im Koalitionsvertrag getroffene Vereinbarungen umgesetzt werden, die bei den Steuerpflichtigen nicht nur auf Anklang stoßen werden. So ist beispielsweise mit der „Zinshöhenschranke“ eine weitere Missbrauchsvermeidungsnorm im Einkommensteuergesetz vorgesehen. Zudem wird aufgrund einer nationalen Meldepflicht von Steuergestaltungen weiterer Bürokratieaufwand auf die Steuerpflichtigen zukommen.

Die Maßnahmen im Einzelnen

Nachfolgend geben wir einen Überblick über ausgewählte Einzelmaßnahmen, die in dem bekanntgewordenen Referentenentwurf vorgesehen sind:

Einführung einer Investitionsprämie

Mit Einführung eines Klimaschutz-Investitionsprämiengesetzes (Klimaschutz-InvPG) will das BMF ein Paket schnüren, das darauf abzielt Nachhaltigkeit und „Transformation der Wirtschaft“ direkt miteinander zu verknüpfen. Demnach soll die Anschaffung von abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens und auch nachträgliche Anschaffungskosten von bereits bestehenden beweglichen Wirtschaftsgütern mit 15% der Investition aber maximal EUR 30 Mio. bezuschusst werden, sofern die Anschaffung oder der Besitz des Wirtschaftsgutes mit einem Energiesparkonzept einhergeht bzw. der Verbesserung der Energieeffizienz dient. Dabei ist ein Mindestinvestitionsbetrag von EUR 10.000 notwendig.

Erhöhung der steuerlichen Forschungsförderung

Die bereits bestehenden Regelungen zur Forschungszulage sollen mit Wirkung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2023 beginnen, eine Neuerung erfahren. So soll künftig nicht mehr ausschließlich der für die Forschung notwendige Arbeitslohn förderungsfähig sein, sondern auch die für die Forschung benötigten abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgüter. Dem folgend soll Aufwand aus Auftragsforschung bei der Ermittlung von förderfähigen Kosten nun mit einem Anteil von 70% statt wie bislang mit 60% berücksichtigt werden. Darüber hinaus sieht der Entwurf eine Erhöhung der Bemessungsgrundlage für die Forschungszulage von EUR 4 Mio. (geändert durch zweites Corona-Steuerhilfegesetz v. 29. Juni 2020) auf EUR 12 Mio. vor, was die Attraktivität einer Antragstellung steigern soll.

Verbesserung der Verlustverrechnung

Bezüglich der Verlustnutzung will das BMF an drei Stellschrauben drehen:

  • Erstens, sollen die im Zuge der Corona-Steuerhilfegesetze angepassten Betragsgrenzen für den Verlustrücktrag nach § 10d Abs. 1 EStG von EUR 10 Mio. bzw. EUR 20 Mio. bei Zusammenveranlagung nun dauerhaft beibehalten werden und der Rücktragszeitraum auf drei statt einem bzw. zwei vorangegangenen Veranlagungszeiträumen ausgeweitet werden.

  • Zweitens, soll die Verrechnung eines steuerlichen Verlustvortrags i.S.d. § 10d Abs. 2 EStG in den Veranlagungszeiträumen 2024 bis 2027 uneingeschränkt (d.h. ohne Rücksicht auf die Mindestgewinnbesteuerung und somit eine volle Verrechnung des Gesamtbetrags der Einkünfte mit vorgetragenen Verlusten) möglich sein. Diese temporäre Aussetzung der Mindestbesteuerung soll auch für die Körperschaft- und die Gewerbesteuer gelten.

  • Drittens, mit geplanter Wiederanwendung der bisher geltenden Regeln zur Mindestbesteuerung in 2028 ist eine Erhöhung des Sockelbetrages von EUR 1 Mio. auf EUR 10 Mio. sowohl für einkommen-, körperschaft- und gewerbesteuerliche Zwecke vorgesehen.

Erleichterungen bei der Thesaurierungsbegünstigung und dem Optionsmodell

Für die Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG sind weitreichende Änderungen ab dem Veranlagungszeitraum 2025 vorgesehen, insbesondere eine Erhöhung des begünstigungsfähigen Gewinns um die gezahlte Gewerbesteuer und um die Beträge, die zur Zahlung der Einkommensteuer (nach § 34a Abs.1 EStG) entnommen werden. Dies hat eine Erhöhung des Thesaurierungsvolumens und eine Absenkung des Einkommensteuersatzes auf thesaurierte Gewinne zur Folge. Darüber hinaus wird die Verwendungsreihenfolge der bisher thesaurierten Gewinne verbessert. Nach der bisher geltenden Regelung müssen im Falle von Gewinnentnahmen zunächst die mit dem niedrigeren Thesaurierungssteuersatz gebildeten Gewinnrücklagen verwendet und pauschal mit 25% nachversteuert werden, auch wenn voll besteuerte Gewinne thesauriert wurden. In der Zukunft sollen steuerfrei oder zum vollen Steuersatz besteuerte Gewinne vorrangig (Wahlmöglichkeit) entnommen werden können, wenn diese nach dem 31. Dezember 2023 im Unternehmen belassen wurden. Offensichtlich soll also diese Verbesserung nicht für Altgewinne, die in der Zeit vor dem 1. Januar 2024 thesauriert wurden, gelten. Eine weitere Verbesserung liegt in der zukünftigen Option zur Berücksichtigung der Antragstellung der Thesaurierungsbegünstigung bei Festsetzung der Vorauszahlungen zur Einkommensteuer.

Das Optionsmodell nach § 1a KStG soll durch eine Erweiterung des Anwendungsbereiches auf alle Personengesellschaften, also auch auf GbR’s sowie eine Optionsmöglichkeit ab dem Zeitpunkt der Gründung attraktiver ausgestaltet werden. Bei der für eine Buchwertfortführung erforderlichen Miteinbringung von funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen zur Verhinderung der Auflösung von steuerpflichtigen stillen Reserven, soll auf die Einbringung der Beteiligung an der Komplementärin in die optierende Gesellschaft verzichtet werden dürfen. Auch in Bezug auf die Ausschüttungsfiktion (nach erfolgter Option) sollen Anpassungen vorgenommen werden (Zufluss erst bei tatsächlicher Entnahme).

Überarbeitung der Regelungen zur Zinsschranke

Die bisher aufgelisteten tendenziell erleichternden Vorschriften werden von einigen Verschärfungen flankiert. So soll die bislang in § 4h Abs. 2 EStG formulierten sog. „Escape-Klauseln“, die die Anwendung der Regelungen zur Zinsschranke ausgeschlossen haben, modifiziert bzw. gänzlich gestrichen werden (Anpassung an die Vorgaben der ATAD-Richtlinie). Die bislang bestehende Freigrenze von EUR 3 Mio. soll durch einen Freibetrag in selber Höhe ersetzt werden, während die Konzernklausel und die Eigenkapitalklausel ersatzlos entfallen sollen.

Einführung einer Zinshöhenschranke

Die Vorschläge zur Modifikation der Zinsschranke werden durch die Einführung einer Zinshöhenschranke, normiert in § 4l EStG-E, ergänzt. Demnach sind Zinszahlungen zwischen nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG nur insofern abzugsfähig, als diese den sog. „Höchstzinssatz“ nicht übersteigen. Dieser bemisst sich mit 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB. Der Steuerpflichtige hat Möglichkeiten hiervon abzuweichen, indem er einen Gegenbeweis erbringt, dass der vereinbarte höhere Zinssatz dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht oder eine Substanzausnahme (Gläubiger hat im Sitz- oder Geschäftsleitungsstaat eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit) durch entsprechende Beweisführung erwirkt. Momentan ist eine Umsetzung der neuen Norm ab 1. Januar 2024 geplant. Gemäß der Gesetzesbegründung sollen mit der Einführung des § 4l EStG-E Gestaltungen unter Zwischenschaltung substanzloser Gesellschaften vermieden werden (Missbrauchsnorm zur Vermeidung von Gewinnverlagerungen in das niedrig besteuerte Ausland).

Mitteilungspflichten für innerstaatliche Steuergestaltungen

Nachdem durch §§ 138d bis 138k AO bereits eine Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen eingeführt wurde, folgt nun die bereits im Koalitionsvertrag der Ampel angekündigte Mitteilungspflicht für inländische Steuergestaltungen in Gestalt von §§ 138l bis 138n AO. Dabei listet § 138l AO einen eigenen Kennzeichenkatalog. Die übrigen Modalitäten und Formulierungen knüpfen einer ersten Einschätzung nach eng an die vorherrschenden Regelungen zur grenzüberschreitenden Meldepflicht an.

Anhebung der Grenzen für GWG, Sammelposten und Sonderabschreibung

Auch im Hinblick auf Abschreibungsmethoden und Abschreibungsvorschriften sind Neuerungen vorgesehen, die dem Entlastungsteil des Entwurfes angehören. So soll die Grenze für geringwertige Wirtschaftsgüter (GWG) von derzeit EUR 800 auf EUR 1.000 angehoben werden und die Sonderabschreibung nach § 7g Abs. 5 EStG von bisher 20% der Investitionskosten auf 50% erhöht werden. Weiterhin sieht der Entwurf die Ausweitung der derzeitigen Regelung zu Sammelposten nach § 6 Abs. 2a EStG vor. Demnach soll die Obergrenze eines Sammelpostens von EUR 1.000 auf EUR 5.000 angehoben werden und gleichzeitig der Abschreibungszeitraum des Sammelpostens von fünf auf drei Jahre verkürzt werden.

Anpassungen des Steuerrechts an die Abschaffung des gesellschaftsrechtlichen Gesamthandsvermögens durch das MoPeG (Reform des Personengesellschaftsrecht)

Um die versprochene steuerliche Neutralität des ab 1. Januar 2024 geltenden MoPeG’s zu gewährleisten und eine steuerliche Änderung im Hinblick auf die geltende Rechtslage zu verhindern erfolgt die Einführung des fiktiven steuerlichen Gesamthandsvermögens in § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO-E, die Definition von Personenvereinigungen in § 14a AO-E und Folgeänderung im ErbStG und im BewG sowie bei der KSt (z.B. § 8b Abs. 6 KStG) sowie im GewStG.

Neben den oben dargestellten Einzelmaßnahmen sieht der Referentenentwurf noch zahlreiche weitere Neuerungen und Änderungen vor. So soll es u.a. Erleichterungen beim Quellensteuereinbehalt geben und eRechnungen im B2B Bereich zukünftig obligatorisch sein. Daneben stehen noch zahlreiche weitere Änderungen u.a. im Bereich der Lohnsteuer und des Verfahrensrechts an.

Ausblick auf den Gesetzgebungsprozess und Fazit

Der Zeitplan des BMF sieht vor, dass bereits im August 2023 ein Kabinettsbeschluss hinsichtlich des Gesetzesvorhabens erfolgen soll und ein entsprechender Regierungsentwurf dem Bundesrat zugeleitet werden kann. Die zuständigen Gremien sollen sich dann im Herbst mit dem Gesetzesvorhaben auseinandersetzen, sodass das Wachstumschancengesetz noch im Dezember 2023 final verabschiedet werden könnte. Selbstverständlich werden wir Sie über den weiteren Fortgang des Gesetzgebungsprozesses auf dem Laufenden halten.

Stellt man sich die Frage, welche Komponenten des (vorläufigen) Regierungsentwurfes im Dezember 2023 dann auch tatsächlich oder in veränderter Form (oder gar nicht) Eingang in das Gesetz finden werden, sollte man sich stets das Struck’sche Gesetz [1] vor Augen führen. Danach verlässt kein Gesetz den Bundestag so, wie es eingebracht wurde. Es steht zu befürchten, dass Peter Struck auch im Hinblick auf das Wachstumschancengesetz Recht behalten könnte.

[1] In der Regel gilt das, was der frühere Bundesverteidigungsminister und Fraktionsvorsitzende der SPD, Dr. Peter Struck, einmal als „erstes Strucksches Gesetz“ bezeichnete: „Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist.“