Russland-Ukraine Konflikt

Mögliche Auswirkungen auf Bilanzierung und Berichterstattung für Stichtage nach Kriegsbeginn

Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine beschäftigt seit fast einem Jahr die Weltgemeinschaft in erheblichem Maße. Der Konflikt ist dabei nicht die einzige Herausforderung, die zu großen Unsicherheiten und Risiken führt. Handelsbeschränkungen, Energieversorgungsengpässe, Lieferkettenengpässe, hohe Inflationsraten, stark steigende Zinsen, Klimarisiken, weiterhin bestehende Folgen der Corona-Pandemie und ein allseits herrschender Arbeitskräftemangel sind Teil einer nicht abgeschlossenen Aufzählung von Herausforderungen, mit denen sich Unternehmen konfrontiert sehen. Eine meist unterschätzte Herausforderung ist dabei eine angemessene und den Tatsachen entsprechende Darstellung der Risiken in Jahresabschluss und Lagebericht. Nachfolgender Beitrag beleuchtet ausgewählte Auswirkungen auf die Bilanzierung im Jahresabschluss und auf die Berichterstattung, insbesondere im Lagebericht, für Stichtage nach Kriegsbeginn.  

Auswirkungen auf die Bilanzierung

Zunächst werden im Folgenden Einflüsse auf die Unternehmensplanung und damit verbundene wichtige Bilanzierungs- und Bewertungssachverhalte beleuchtet. Anschließend folgen weitere ausgewählte Bilanzierungs- und Bewertungsfragen.

1.    Unsicherheiten in der Unternehmensplanung

Die Prognose der zukünftigen Entwicklung einer Gesellschaft hat für verschiedene Bilanzierungs- und Bewertungssachverhalte Relevanz. Grundsätzlich gilt, dass Prognosen auf vertretbaren und nachvollziehbaren Annahmen des Managements aufgebaut werden müssen und einer kontinuierlichen Anpassung unterliegen. Typischerweise werden Prognosen auf Basis einer analysierenden Vergangenheitsbetrachtung und insbesondere aus Erfahrungswerten erstellt. Diese vergangenheitsbasierten Annahmen können bei der momentanen Risikolage jedoch oftmals nicht unverändert fortgeschrieben werden. Die Unternehmensplanung wird dadurch schwieriger und ist mit höherer Unsicherheit belegt. Dem kann unter anderem durch die Bildung von verschiedenen Szenarien und erhöhter Transparenz durch umfassende Angaben für die Abschlussadressaten Rechnung getragen werden.

  • Unternehmensbeteiligungen bzw. Geschäfts- und Firmenwerte:

    Die Werthaltigkeit von Unternehmensbeteiligungen als auch von Geschäfts- und Firmenwerten werden üblicherweise im Rahmen eines Kapitalwertkalküls überprüft. Im Rahmen des Kapitalwertkalküls wird durch die Diskontierung von zukünftigen Zahlungsflüssen bzw. Ertragswerten (Unternehmensplanung) ein Zukunftserfolgswert errechnet, der dem Buchwert gegenübergestellt wird. Durch eine gegebenenfalls eingetrübte Ertrags- bzw. Cashflow-Erwartung (im Zähler) als auch durch steigende Kapitalisierungszinssätze (im Nenner) kann der Druck auf die aktivierten Buchwerte erhöht werden.

  • Aktive latente Steuern:

    Aktive latente Steuern sind nur aktivierungsfähig (Wahlrecht), wenn es wahrscheinlich ist, dass ein künftiges, zu versteuerndes Ergebnis zur Verfügung stehen wird, mit dem die abzugsfähigen temporären Differenzen oder die noch nicht genutzten steuerlichen Verluste verrechnet werden können. Handelsbilanziell ist besonders kritisch zu hinterfragen, ob die steuerlichen Verlustvorträge innerhalb der nächsten fünf Jahre geltend gemacht werden können. Für diese Beurteilung ist eine Unternehmensplanung nahezu unverzichtbar, vor allem in schwierigen Zeiten.

  • Bemessung von Rückstellungen:

    Handelsbilanziell sind Rückstellungen in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer  Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrags zu passivieren. Insbesondere sind der Bewertung nicht die am Abschlussstichtag geltenden, sondern die im voraussichtlichen Zeitpunkt der Erfüllung der betreffenden Schuld vorhersehbaren künftigen Preis- und Kostenverhältnisse zugrunde zu legen.

    Vor allem für am Abschlussstichtag schwebende Absatzgeschäfte mit vereinbarten fixen  Entgelten (meist Werkvertrag) kann sich infolge des Kriegsausbruchs, sowie insbesondere aufgrund der durch den Krieg hervorgerufenen Steigerungen der Energiepreise und der Preise von bestimmten Rohstoffen oder von anderen Inputfaktoren, die zur Erbringung der eigenen, vertraglich geschuldeten Lieferung oder sonstigen Leistung benötigt werden, das Erfordernis zur Bildung von Drohverlustrückstellungen ergeben.

2.    Vorräte

Durch Unterbrechungen des Produktionsprozesses sowie aufgrund von Lieferengpässen, aber auch durch die ausgeprägte Inflation kann es zu wesentlich höheren Gemeinkosten kommen. Diese Kosten stellen nach Auffassung des Instituts der Wirtschaftsprüfer jedoch keine „angemessenen“ (Material- und Fertigungs-) Gemeinkosten dar und sind mithin als Leerkosten nicht aktivierungsfähig.

3.    Forderungen

Hat das bilanzierende Unternehmen Forderungen gegenüber Unternehmen, die durch das Kriegsgeschehen bzw. durch andere „externe Schocks“ in Liquiditäts- und Zahlungsschwierigkeiten gelangen, so ist die Werthaltigkeit der betreffenden Forderungen zu überprüfen. Darauf aufbauend können Einzelwertberichtigungen erforderlich sein

Auswirkungen auf die Berichterstattung
 1.    Anhang

Über Vorgänge von besonderer Bedeutung, die nach dem Schluss des Geschäftsjahres, aber bis zur Beendigung der Aufstellung des Abschlusses eingetreten sind, und die weder in der Gewinn- und Verlustrechnung noch in der Bilanz berücksichtigt sind, ist im Rahmen einer Nachtragsberichterstattung im Anhang zu berichten. Dabei ist die Art und finanzielle Auswirkung zu beschreiben. Der Ausbruch des Russland-Ukraine Kriegs qualifiziert sich nicht mehr als Ereignis nach dem Bilanzstichtag für Stichtage zum oder nach dem 24. Februar 2022. Mögliche direkte Folgen aus dem Krieg, wie zum Beispiel steigende Kosten, gegebenenfalls schon.

Daneben sind Risiken, die den Bestand des Unternehmens gefährden in jeden Fall im Anhang – bei Kleinst- bzw. kleinen Gesellschaften unter der Bilanz – anzugeben. Das Institut der Wirtschaftsprüfer empfiehlt, diese Angabe im Nachtragsbericht oder zu Beginn des Anhangs unter Verweis auf den Nachtragsbericht zu integrieren. Daneben hat eine ausführliche Berichterstattung im Lagebericht zu erfolgen.

2.    Lagebericht
  •  Risikoberichterstattung:

    Zwar ist die Einschätzung der Risiken, insbesondere der Auswirkungen der beschriebenen externen Schocks, zum Abschlussstichtag vorzunehmen; sofern sich aber Risiken nach dem Schluss des Berichtszeitraums (bis zur Beendigung der Aufstellung des Lageberichts) in ihrer Bedeutung ändern ist die geänderte Einschätzung der Risiken zusätzlich darzustellen, wenn anders kein zutreffendes Bild von der Risikolage des Unternehmens vermittelt wird.

  • Prognoseberichterstattung:

    Die zu Beginn des Beitrags diskutierten Einflüsse auf die Unternehmensplanung spielen insbesondere auch in der Prognoseberichterstattung im Lagebericht eine gewichtige Rolle. Dabei dürften die beiden Voraussetzungen - eine hohe Unsicherheit hinsichtlich der Zukunftsaussichten und gleichzeitig eine wesentliche Beeinträchtigung der Prognosefähigkeit des Unternehmens -, die ausnahmsweise zu verringerte Anforderungen an die Genauigkeit von Prognosen im Lagebericht bezüglich der Entwicklung der bedeutsamsten finanziellen Leistungsindikatoren führen, in diesem Zusammenhang derzeit bei vielen Unternehmen als erfüllt anzusehen sein. Je länger die externen Schocks, wie etwa der Krieg in der Ukraine anhalten, desto stärker müssen die Anforderungen an die Ausnahme ausgelegt werden.

    Bei kumulativer Erfüllung der Voraussetzungen ist es den betreffenden Unternehmen gestattet, anstelle von Punkt-, Intervall- oder qualifiziert-komparativen Prognosen lediglich komparative Prognosen im Lagebericht abzugeben oder die Darstellung der voraussichtlichen Entwicklung der Leistungsindikatoren in verschiedenen Zukunftsszenarien unter Angabe ihrer jeweiligen Annahmen zu berichten. Ein Unterlassen jeglicher Prognosen im Lagebericht ist indes selbst im Lichte der derzeitigen hohen Unsicherheiten nicht zulässig.

Fazit

Die zunehmenden Herausforderungen der letzten Jahren haben die Komplexität und Auslegungsbedürftigkeit der Vorgaben im Bereich der Bilanzierung und Berichterstattung deutlich erhöht. Um unangenehme Überraschungen während der Jahresabschlussprüfung zu vermeiden, empfiehlt sich ein frühzeitiger Austausch zwischen Unternehmen und Abschlussprüfer.