Unternehmenserwerb im Zeitalter von Industrie 4.0

Ist das digitalisierte Unternehmen mehr wert?

Industrie 4.0, Digitalisierung oder Smart Factory, diese Schlagworte bestimmen aktuell die Politik, die Öffentlichkeit und ganz besonders die Unternehmen. Unter Industrie 4.0 versteht man die Verzahnung der industriellen Produktion mit Hilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnik auf Basis intelligenter digitaler vernetzter Systeme. Es geht dabei im Kern um die Automatisierung von Prozessen sowie um die Vernetzung der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. Als Ziel dieser Veränderung steht eine Optimierung der logistischen Ketten, der Prozesse im Unternehmen und damit letztlich eine Ertragsoptimierung.

Im Rahmen einer Unternehmenstransaktion ist – neben strategischen und operativen Entscheidungskriterien – gerade die Bestimmung des Kaufpreises für das zu erwerbende Unternehmen („Target“) von zentralem Interesse. Dieser basiert jedoch nicht auf Vergangenheitserträgen, sondern richtet sich regelmäßig nach den zukünftig erwarteten und aus Sicht des Investors realistisch realisierbaren Erträgen bzw. den ihm zufließenden Cash Flows. Die Realisierung künftiger geplanter Erträge steht dabei stets eng im Zusammenhang mit der aktuellen operativen Infrastruktur des Targets. Unabhängig davon, ob der Kaufpreis für ein Unternehmen auf Basis eines anspruchsvollen Discounted Cash Flow Verfahrens oder auf Basis eines Multiples ermittelt wird, sind für die Ableitung des Kaufpreises die Investitionen („CapEx“) relevant. Denn Investitionen müssen finanziert werden und reduzieren damit – unabhängig davon, ob sie eigen- oder fremdfinanziert werden – den finanziellen Rückfluss an den künftigen Erwerber.

Insofern gilt die grundsätzliche Annahme, dass eine in gutem Zustand befindliche operative Infrastruktur eines Unternehmens zu geringeren Abzügen beim Kaufpreis führt. Die operative Infrastruktur beinhaltet dabei konsequenterweise auch den Digitalisierungsgrad des Targets. Ein Online-Handelsunternehmen etwa, dessen Webshop in seiner Funktionalität, Menüführung oder Guidance für den User nicht auf dem neuesten Stand ist, würde daher aus Sicht eines potentiellen Erwerbers bei der Kaufpreisbemessung Abzüge hinnehmen müssen. Der Investor würde den Vergleich zu dem ziehen, was aus seiner Sicht „State of the Art“ und bei den wesentlichen (ggfs. erfolgreicheren) Wettbewerbern zur Anwendung kommt, die erforderlichen Investitionen zur Erreichung dieses Status ermitteln und einpreisen. Das Gleiche gilt z. B. auch für Unternehmen im Maschinenbau, bei denen eine zunehmende Digitalisierung im Bereich Kundenservice und Wartungsleistungen zu beobachten sind.

Ein Trend in der Digitalisierung ist dabei „Predictive Maintenance“. Hierüber sollen durch eine intelligente digitale Vernetzung des Maschinenherstellers und des Kunden (als Maschinennutzer) entsprechende Analysen der vom Kunden genutzten Maschine in Echtzeit erfolgen und der für die Garantie und Wartung zuständige Hersteller frühzeitig Normabweichungen, Fehler oder Verschleißgrade feststellen können. Auf etwaige Auffälligkeiten soll dann der Hersteller entweder online vom Firmensitz oder durch einen vorausschauend und logistisch optimal geplanten Vorortservice beim Kunden reagieren. Durch diese Optimierung sollen dem Kunden geringere Reparatur- und stillstandsbedingte Kosten entstehen, während gleichzeitig der Hersteller seine Kosten für Gewährleistung und Service – z. B. die Kosten für die Serviceteams vor Ort – reduziert. Dieses Beispiel illustriert letztlich den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Ertragskraft eines Unternehmens und dem Reifegrad an Digitalisierung.

Dabei richtet sich der Blick mittelständischer Unternehmen längst in Richtung „Smart Factory“, in welcher die unterschiedlichsten Zukunftstechnologien wie Cloud, Internet of Things, 3D-Druck oder Künstliche Intelligenz verschmelzen. So lassen sich beispielsweise über den Einsatz von RFID-Technik komplexe Produktions- oder Logistikabläufe optimieren. Dabei werden die im Produktionsablauf maßgeblichen Gegenstände (z. B. Produkte, Waren) mit RFID-Transpondern versehen, die es ermöglichen, diese Gegenstände zu identifizieren und zu lokalisieren. Gleichzeitig übermitteln diese Sensoren umfangreiche Informationen etwa über den Bearbeitungsstand oder die Qualität eines Objektes oder Produktes. Im Handel oder der Logistik können neben Produktinformationen Warenbewegungen automatisch entlang der Prozesskette erfasst und dokumentiert werden, automatische Verbuchungen und vieles mehr vorgenommen werden. Schließlich dient die Nutzung von RFID über eine Standortbestimmung von Zuliefererteilen auch dazu, jederzeitige Änderungen im Produktionsablauf oder Schichtplan vorzunehmen.

Wie hoch der tatsächliche Effekt des jeweiligen Digitalisierungsgrades eines Unternehmens für die Ermittlung eines Unternehmenswertes ist, wird für jedes Unternehmen einzeln zu betrachten sein. Zentrale Einflussfaktoren sind dabei die Branche, der Wettbewerb, die zum Bewertungszeitpunkt vorhandenen technischen Möglichkeiten, rechtliche Rahmenbedingungen wie Datenschutzregularien (digitale Vernetzung bedeutet vielfach auch Zugriff auf Daten anderer), die Bereitschaft der Marktteilnehmer (Kunden und Lieferanten) sich digital zu öffnen sowie die möglichen Investitionen im Verhältnis zu dem daraus erwarteten Zusatznutzen.

Unabhängig von diesen Kriterien und ihrer Ausprägung im Unternehmenswert ist jedoch unstreitig, dass die Digitalisierung unaufhaltsam voranschreitet und damit künftige Investitionen und Erträge eines Unternehmens beeinflusst. Im Rahmen eines Unternehmenserwerbs muss in der Due Diligence daher auch der Digitalisierungsgrad und die Innovationskraft des Targets analysiert werden. Ein Unternehmen, welches digital weit entwickelt ist und einen Vorsprung gegenüber seinen Wettbewerbern hat, wird daher geringere Abschläge für zukünftige Investitionen beim Kaufpreis zu fürchten haben und ist damit im Ergebnis auch mehr wert.