Rückwirkende Rechnungsberichtigung

Praxistipp zum BMF-Schreiben zur rückwirkenden Rechnungsberichtigung

Zwei Jahre nach Ergehen des ersten Entwurfschreibens hat das BMF am vergangenen Freitag (18. September 2020) das von der Praxis lang erwartete Schreiben zur Rückwirkung der Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Rechnung veröffentlicht. Dies ist begrüßenswert, da die Praxis Planungssicherheit braucht. Im Vergleich zur Entwurfsfassung hat die Finanzverwaltung in einigen Punkten - nicht zuletzt wegen zwischenzeitlich ergangener Folgerechtsprechung - eingelenkt. Das Schreiben veranlasst die bislang vorsichtig agierende Praxis zu einem Umdenken in der Geltendmachung ihres Rechts auf Vorsteuerabzug.

Bedeutung der Rumpfrechnung

Auf Basis der Rechtsprechung erkennt die Finanzverwaltung nunmehr die rückwirkende Rechnungsberichtigung an. Voraussetzung hierfür ist allerdings das Vorliegen einer berichtigungs-/ergänzungsfähigen Erstrechnung (nachfolgend auch nur „Rumpfrechnung“). Eine Rumpfrechnung muss mindestens folgende Angaben enthalten:

  • zum Rechnungsaussteller,

  • zum Leistungsempfänger,

  • zur Leistungsbeschreibung,

  • zum Entgelt (= Nettobetrag) und

  • zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer.

Die Angaben in der Rumpfrechnung dürfen aber nicht in so hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder offensichtlich unzutreffend sein, dass sie fehlenden Angaben gleichstehen. Es wäre überraschend, wenn die Entscheidung hierüber zukünftig nicht zum Zankapfel zwischen Steuerpflichtigem und Finanzamt wird. Hierzu lässt uns die Finanzverwaltung Folgendes wissen:

Im Zusammenhang mit den Angaben zum Leistenden bzw. Leistungsempfänger führen Schreibfehler im Namen oder der Anschrift bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen nicht zur Aberkennung des Vorsteuerabzugs, sodass es für umsatzsteuerliche Zwecke auch keiner Berichtigung mehr bedarf. Entsprechendes gilt für fehlende oder falsche Rechtsformzusätze, wenn jegliche Zweifel an der Identität des Leistenden ausgeschlossen sind. Ist dies jedoch nicht der Fall, d. h. besteht Verwechslungsgefahr, liegt nach Finanzverwaltung aber keine (berichtigungsfähige) Rumpfrechnung vor. Somit kann das Recht auf Vorsteuerabzug (erstmalig) nur durch eine neue bzw. berichtigte Rechnung erreicht werden. Leider hat das BMF die Eingabe der Steuerberaterkammer dahingehend Stellung zu nehmen, dass auch Kassenbons berichtigungsfähig sind, nicht aufgenommen.

Bei der Leistungsbeschreibung führen allgemein gehaltene Angaben, wie Produktverkäufe, nicht zur Bejahung einer Rumpfrechnung.

In Hinblick auf das Entgelt liegt eine Rumpfrechnung vor, wenn das Entgelt durch die Angabe des Bruttorechnungsbetrages und des gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrages errechnet werden kann. Selbiges gilt in Bezug auf den gesonderten Steuerausweis - obwohl dieser nicht vorliegt - wenn die Parteien fälschlicherweise vom Vorliegen eines Übergangs der Steuerschuld ausgegangen sind und in der Rechnung der entsprechende Hinweis nach § 14a UStG enthalten ist. In allen anderen Fällen des fehlenden Steuerausweises, wie z.B. bei Irrtümern über die Steuerbarkeit oder die Steuerfreiheit, gilt dies nach Auffassung der Finanzverwaltung nicht. Hier führt erst die spätere Rechnungsberichtigung mit Steuerausweis etc. zum erstmaligen Vorsteuerabzug.

Storno einer Rumpfrechnung ist unschädlich. Aufgrund der jüngsten Rechtsprechung des BFH hält die Finanzverwaltung nicht mehr an ihrer formalistischen Sichtweise fest und verneint einen rückwirkenden Vorsteuerabzug, wenn die Rumpfrechnung storniert und durch eine ordnungsgemäße Neurechnung mit allen Angaben ersetzt wird.

Rechnungen mit einem unrichtigen Steuerausweis im Sinne von § 14c Abs. 1 UStG können zwar nach den allgemeinen Grundsätzen berichtigt werden, ihre Berichtigung führt aber nicht zu einem rückwirkenden Entfallen der Steuerschuld.

Rechnungsberichtigung führt zu keinem rückwirkenden Ereignis. Das Schreiben verfestigt die Auffassung der Finanzverwaltung, wonach es sich bei der Rechnungsberichtigung verfahrensrechtlich nicht um ein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO handelt. Dieses Verständnis hat vor allem Auswirkung auf die zeitliche Möglichkeit einer den Vorsteuerabzug sicherstellenden Berichtigung der Rumpfrechnung. Sie ist zukünftig mit steuerlicher Anerkennung nur noch so lange möglich, wie die ursprüngliche Veranlagung verfahrensrechtlich änderbar ist. Steht die Veranlagung in der die Rumpfrechnung zugegangen ist, nicht mehr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, entfällt damit im Regelfall ein Vorsteuerabzug. Dies ist die Kehrseite der Medaille!!! Dies ist insbesondere auch für das Vorsteuervergütungsverfahren von erheblicher Bedeutung. Die Finanzverwaltung versucht, dieses Verständnis durch eine nationale gesetzliche Regelung im Rahmen des Jahressteuergesetzes zu verfestigen.

Übergangsregelung

Das revidierte Rechtsverständnis der Finanzverwaltung ist in allen offenen Fällen anzuwenden. Damit kann sicherlich einer Vielzahl von anhängigen Einsprüchen abgeholfen werden. Wenn die Rechnungsberichtigung/-ergänzung bis zum 31.12.2020 zugegangen ist, beanstandet es die Finanzverwaltung allerdings nicht, wenn der Steuerpflichtige den Vorsteuerabzug erst in dem Zeitpunkt geltend gemacht hat, in dem die berichtigte/ergänzende Rechnung eingegangen ist. Damit bleibt es dem Konflikt scheuenden und vorsichtigen Steuerpflichtigen erspart, sein Verfahren rückwirkend umzustellen.

Praxistipp

Das Schreiben zwingt jedes Unternehmen zur Überprüfung seines bisher praktizierten Vorsteuerabzugsverfahrens.

Die gute Nachricht: Das Recht auf Vorsteuerabzug kann und muss zukünftig, und zwar ohne Offenlegung gegenüber dem Finanzamt, bereits bei Vorliegen einer Rumpfrechnung ausgeübt werden. Dies erfordert eine Umstellung im Verfahren für alle Steuerpflichtige, die in der Vergangenheit aufgrund des bisherigen Verständnisses der Finanzverwaltung den Vorsteuerabzug (erst) im Zeitpunkt des Vorliegens der berichtigten bzw. ergänzten Rechnung vorgenommen haben. Unter Verzinsungsgesichtspunkten gilt es für diese Steuerpflichtigen darüber nachzudenken, ob sie für die Vergangenheit einen rückwirkenden Vorsteuerabzug beantragen.

Die Rechnungseingangsprüfung bleibt weiterhin unverzichtbar und gewinnt wegen des Risikos des Verlustes des Rechts auf Vorsteuerabzug noch eher an Bedeutung.

Die Empfehlung, möglichst spezifische Bezugnahmen auf andere aussagekräftige Dokumente, wie Verträge, Aufträge, Lieferscheine, in der Rechnung aufzunehmen, besteht unverändert fort.