Der BFH will es wissen und ruft den EuGH in der gleichen Rechtssache abermals zur umsatzsteuerlichen Organschaft an
Vorlage des BFH zur Steuerbarkeit von Innenleistungen (erstes Vorlageersuchen in der Rechtssache C-269/20 (Anonym)
In unserem Beitrag vom 12.12.2022 unterrichteten wir Sie über zwei Entscheidungen des EuGH in Bezug auf Vorlagefragen des V. und XI. Senats des BFH. Im Ergebnis wollte der BFH wissen, ob das deutsche Verständnis, wonach Steuerschuldner der Organträger und nicht ein neuer Steuerpflichtiger die Mehrwertsteuergruppe ist, mit dem Europarecht im Einklang steht. Diese Frage wurde vom EuGH bejaht.
Die in beiden Verfahren zuständige Generalanwältin Medina öffnete in ihrem Plädoyer jedoch die Büchse der Pandora. Ihr Verständnis ist, dass die Innenumsätze zwischen den der Organschaft angehörigen Beteiligten den allgemeinen umsatzsteuerlichen Regeln unterliegen und damit umsatzsteuerbar und ohne Vorliegen einer Steuerbefreiung umsatzsteuerpflichtig sind. Im Ergebnis spricht die Generalanwältin den Regelungen zur Organschaft nur ein formelle und keine materielle Bedeutung zu. Nachdem der EuGH nicht die Möglichkeit genutzt hat, diese Zweifel vollständig zu zerstreuen, hat der BFH – wie in unserem damaligen Beitrag vermutet – nachgelegt und ruft den EuGH genau zu dieser Frage an.
Sollten die Umsätze nicht umsatzsteuerbar sein, will er mit seiner zweiten Frage geklärt wissen, ob dies auch dann gelte, wenn der Leistungsempfänger nicht oder nur teilweise zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Hintergrund der zweiten Frage ist, dass der BFH insoweit einen Steuerausfall aufzeigt. Und das Institut der Organschaft soll gerade zu keinen Steuerverlusten führen.
Sollte der EuGH tatsächlich die nicht nur in Deutschland praktizierte Nichtsteuerbarkeit der Innenumsätze kassieren, würde dies zu einem Beben führen. Es bietet sich durchaus an, die Zeit bis dahin zu nutzen und sich über mögliche Ausweichstrategien Gedanken zu machen.
Den Senat konnten die im Nachgang zu den Entscheidungen des EuGH vorgetragenen gewichtigen Argumenten von namhaften Stimmen (vgl. insbesondere Oelmaier, MwStR 2022, 880), dass die Bestimmungen der Organschaft sehr wohl materiell-rechtliche Auswirkungen besitzen, nicht von seinen Zweifeln abhalten.
Weniger spektakulär und vorhersehbar war die zweite am 23.03.2023 veröffentlichte Entscheidung des XI. Senats, selbst wenn es sich bei ihr um eine Rechtsprechungsänderung handelt.
Sie besagt, dass die finanzielle Eingliederung auch dann vorliegt, wenn die erforderliche Willensdurchsetzung dadurch gesichert ist, dass der Gesellschafter zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, er aber eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt.
Und wie letzte Woche berichtet, steht auch noch die Veröffentlichung der Entscheidung zu der Tochterpersonengesellschaft aus.
Mit Interesse darf abgewartet werden, ob es der BFH mit seiner erneuten Vorlage ein weiteres Mal geschafft hat, ein anstehendes Gesetzgebungsverfahren zum Erliegen zu bringen. Bereits im Jahre 2021 hatte die Bundesregierung geplant, ein Antragsverfahren einzuführen, wonach eine umsatzsteuerliche Organschaft nur auf Antrag und durch eine entsprechende Bestätigung der Finanzverwaltung über das Vorliegen der rechtlichen Kriterien entstehen kann.
Fortsetzung folgt…