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FAQ zur Erbschaftsteuerreform

Die Erbschaftsteuer stand bereits mehrfach im Zentrum eines breiten gesellschaftspolitischen und verfassungsrechtlichen Diskurses. Zuletzt und zum dritten Mal in Folge hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Dezember 2014 das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz für verfassungswidrig erklärt. Es folgte eine umfassende – und umstrittene – Reform der Steuerbefreiungen für Unternehmensvermögen.

Noch in diesem Jahr rechnen wir mit einem weiteren Urteil des BVerfG; der Urteilsfall (Az. 1 BvR 804/22) betrifft mittelbar die Steuerbefreiungen für Unternehmen. Die dazu debattierten Positionen der Parteien deuten auf eine mögliche Neuausrichtung der Erbschaftsteuerregelungen hin. Auch ein abstraktes Normenkontrollverfahren, eingeleitet durch die Bayerische Staatsregierung (Az. 1 BvF 1/23), gibt dem BVerfG Anlass, über die Begünstigungsvorschriften nach §§ 13a-13c, 28a ErbStG zu entscheiden.

Worum geht es in dem Urteil?

Der Kläger wendet sich mit einer Verfassungsbeschwerde an das BVerfG zu der Frage, ob die erbschaft- und schenkungsteuerlichen Begünstigungen beim Übergang betrieblichen Vermögens mit dem Grundgesetz vereinbar seien oder ob sie Erwerber von Privatvermögen, für die die genannten Befreiungen nicht greifen, in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise benachteiligen. Das BVerfG muss aber zunächst über die Nichtzulassung der Revision durch den Bundesfinanzhof (BFH) – dieser hatte keinen Grund für eine Verfassungswidrigkeit gesehen – entscheiden. Ob das BVerfG auch inhaltlich zu der Verfassungsmäßigkeit der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregelungen Stellung nimmt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls wäre die Prüfung der Verfassungswidrigkeit einem gesonderten Verfahren vorbehalten; aktuell geht es „nur“ um die Zulassung der Revision.

Wie könnte das Gericht entscheiden?

Das BVerfG hat die Möglichkeit, aber nicht die Pflicht, schon im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Zulassung der Revision inhaltlich Stellung nehmen. Jedenfalls wird aus der Entscheidung über den Verfahrensweg abzuleiten sein, ob das Gericht zur Annahme einer Verfassungswidrigkeit tendiert. Manche vermuten eine Weichenstellung; einige befürchten sogar, dass mit dem Urteil der Vertrauensschutz wegfällt und eine gesetzgeberische Neuregelung auf das Datum der Urteilsverkündung zurückwirkt. Im schlimmsten Fall käme es zum „sofortigen Ende“ der Befreiungen für Unternehmensvermögen. Abgeleitet aus den früheren Entscheidungen ist „wahrscheinlich“, dass im Fall der Verfassungswidrigkeit die Fortgeltung bis zur Neuregelung angeordnet würde. Aber: Die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit steht aktuell noch nicht an – momentan geht es um die Zulassung der Revision.

Welche Diskussionslinien zeichnen sich politisch ab?

Die politisch diskutierten Reformvorschläge umfassen die Einführung eines Lebensfreibetrags, die Abschaffung von Sonderregelungen für große Vermögen – insbesondere die Abschaffung der Verschonungsbedarfsprüfung (sog. „Erlassmodell“) – alternative Stundungsmodelle für Unternehmensnachfolger sowie die Anpassung der Freibeträge an die Inflation. Darüber hinaus wird auch die Abschaffung der Einbeziehung von Familienstiftungen erwogen. Auch die Flat Tax – z. B. 10 % auf alle Erwerbe, keine Steuerbefreiungen, zahlbar über 10 Jahre – wird wieder diskutiert. Selbst die CDU/CSU bekennt sich inzwischen grundsätzlich zu einer Verpflichtung der Umverteilung von großen Vermögen, hat jedoch vor 2027 keine Änderung des geltenden Rechts in Aussicht gestellt.

Welcher Handlungsbedarf besteht?

Vergangene Verfahren im Zusammenhang mit dem ErbStG haben eine Neigung des BVerfG zur Aufforderung an den Gesetzgeber zur fristgebundenen Neuregelung gezeigt. Gleichwohl handelt es sich stets um eine Einzelfallentscheidung.


Es gehört zur angemessenen Vorsorge, Mandanten auf die Unklarheit künftiger Rechtsentwicklung und eine mögliche gesetzliche Verschärfung hinzuweisen. Für den Fall der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des derzeitigen Erbschaftsteuerregimes gilt es, die Nachfolgeplanung frühzeitig individuell anzupassen.


Naheliegend könnte eine zeitnahe Übertragung von begünstigtem Betriebsvermögen sein, um die bestehenden Verschonungsregeln auszunutzen – sofern diese als einhaltbar und günstig angesehen werden. Solche Übertragungen können mit Rückübertragungsvorbehalten versehen werden, um auf die Entscheidung des Gerichts reagieren zu können.


2014 sorgte das damals anstehende Urteil zur Verfassungswidrigkeit der Erbschaftsteuerregelungen für einen regelrechten „Run“ auf die Notare – Übertragungen fanden teils noch am Tag vor der Urteilsverkündung statt. Ob sich ein ähnliches Vorgehen auch bei einem Urteil rechtfertigen lässt, das sich noch auf das Verfahren selbst bezieht, ist fraglich. Dennoch gilt: Die Entwicklung sollte aufmerksam verfolgt und Übertragungen im Zweifel lieber frühzeitig vorgenommen werden.