Italien vs. Big Tech
Die Nutzung und Verwendung von Daten hat die Praxis und Rechtsprechung schon lange im Griff. Bereits im Jahre 1983 entschied das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil, dass unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung der Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes umfasst wird (sog. Recht auf informationelle Selbstbestimmung). Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Damals ging es um das Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Streitig war die geplante Volkszählung, die ihre Rechtsgrundlage im sog. Volkszählungsgesetz 1983 suchte.
Es überrascht sicherlich nicht, dass sich aus der Bereitstellung von (persönlichen) Daten auch steuerrechtliche Folgen ergeben, allen voran das umsatzsteuerliche Institut des tauschähnlichen Umsatzes. Dies gilt sowohl für den Konsumenten als auch für das Unternehmen bzw. die nutzende Plattform.
Umsatzsteuer: Tauschähnlicher Umsatz
Im Gegensatz zum europäischen Recht definiert das deutsche Umsatzsteuergesetz den Begriff des tauschähnlichen Umsatzes. Ein solcher liegt vor, wenn das Entgelt für eine sonstige Leistung (Dienstleistung) in einer Lieferung oder einer sonstigen Leistung besteht. Bereits das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen, aber noch mehr die Bestimmung der richtigen Bemessungsgrundlage ist ein stetiger Zankapfel zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt. Den BFH beschäftigten bereits in der Vergangenheit so spektakuläre Sachverhalte, wie der Toilettengroschen an die Reinigungskraft, die Entsorgung gefährlicher Abfälle oder auch die Delegation der Herausgabe einer Publikation an einen Verlag und einer damit verbundenen Einwerbung und drucktechnischen Platzierung von Anzeigen und Inseraten.
Italienische Verhältnisse
Jüngst aktualisierte die Nachrichtenagentur Reuters ihre Berichterstattung über einen in Italien anhängigen Rechtsstreit. In diesem geht es um die Frage, ob die Bereitstellung des Zugangs zu Online-Plattformen für Nutzer der Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer) unterliegt. Die Gegenleistung der Nutzer soll in deren Zustimmung zur Verwertung ihrer personenbezogenen Daten für den kostenfreien Zugang zu der jeweiligen Plattform bestehen. Soweit die Plattform ihre Dienstleistung bislang kostenlos erbracht hätte, würde es bei Bejahung eines tauschähnlichen Umsatzes zu einem entgeltlichen Umsatz der Plattform gegenüber dem Nutzer kommen. Hätte dieser bereits eine Geldzahlung leisten müssen, stellt sich die Frage, ob sich das von ihm geleistete Entgelt um den Wert seiner zur Verfügung gestellten Daten erhöht. In der Steuerwelt dann von einem tauschähnlichen Umsatz mit Baraufgabe gesprochen. Die in Erstinstanz unterlegenen ausländischen Unternehmen Meta (Google), X und LinkedIn sind gegen die Entscheidung in Berufung gegangen - augenscheinlich um eine möglichst einheitliche Behandlung zumindest seitens der Finanzverwaltungen innerhalb der EU herzustellen. Weiter ist dem Beitrag zu entnehmen, dass die italienische Regierung eine entsprechende Eingabe an den Mehrwertsteuerausschuss vorbereitet.
Europäische Debatte
Bereits im Jahre 2018 hatte sich der sog. Mehrwertsteuerausschuss der geschilderten Thematik angenommen. Dieser vornehmlich beratende Ausschuss setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission zusammen. In seiner 111. Sitzung vom 30. November 2018 kam er in Bezug auf eine etwaige Leistung der Plattform zu dem einstimmigen (kryptischen) Ergebnis, dass die Bereitstellung von Internetdiensten im Austausch von Nutzerdaten keinen mehrwertsteuerpflichtigen Umsatz darstellt, solange diese Dienstleistungen allen Nutzern des Internets unter denselben Bedingungen – ungeachtet der Menge und der Qualität der von den einzelnen Nutzern gelieferten personenbezogenen Daten – angeboten werden. In einer solchen Konstellation würde nämlich keine direkte Verbindung zwischen den erbrachten IT-Dienstleistungen und der Gegenleistung in Form der erhaltenen personenbezogenen Daten hergestellt. Diese wegen der Vielzahl von denkbaren Einzelfällen sehr allgemein gehaltenen Ausführungen dürften auch der Grund sein, weshalb die Thematik dem Mehrwertsteuerausschuss, nun von Italien initiiert, ein weiteres Mal vorgelegt werden soll.
Besteuerung in Deutschland
Auch in Deutschland wurde die umsatzsteuerrechtliche Behandlung von sog. kostenlosen Online-Dienstleistungen beginnend im Jahr 2015 diskutiert. Auslöser war ein Beitrag zweier Vertreter der Finanzverwaltung in nicht dienstlicher Eigenschaft. Sie propagierten, dass Werbe- oder drittfinanzierte IT-Dienstleistungen und Apps über die Grundsätze des tauschähnlichen Umsatzes (mit Baraufgabe) der Umsatzsteuer unterlägen. Sie riefen die davon betroffenen Unternehmen dazu auf, für entsprechende Berichtigungen ihrer Erklärungen zu sorgen, falls es bislang zu keiner Besteuerung gekommen sei. In einem anschaulichen Beitrag verdeutlichten Looks/Bergau die Schwächen dieser Argumentation. Sie verneinten eine autonome Leistung der Nutzer, die als Gegenleistung für die Leistungen der Dienstanbieter qualifiziert werden könne. Englisch, als Vertreter der Wissenschaft, kam zu dem Ergebnis, dass sich für den Steuerzahler keine pauschalen Aussagen treffen ließen. Dazu erscheine es letztlich als unangemessen, eine Frage derartiger fiskalischer wie volkswirtschaftlicher Tragweite von den Gerichten und in letzter Instanz vom EuGH entscheiden zu lassen. Englisch appellierte deshalb an den europäischen Gesetzgeber, tätig zu werden. Der Appell blieb bislang unerhört.
Aufgrund völlig unterschiedlicher Sachverhaltskonstellationen bedarf es einer harmonisierten Rechtsgrundlage, in welchen Fällen es zu einer Umsatzbesteuerung kommt. Dafür bieten sich typisierende Regelungen in der Durchführungsverordnung zur Mehrwertsteuersystemrichtlinie an. Ihre Regelungen gelten unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. Dadurch lassen sich sowohl Umsatzsteuerdumping als auch übermäßige Besteuerungen einzelner Behörden vermeiden, wie sie bereits in Außenprüfungen festgestellt wurden.
Unternehmen, die personenbezogene Daten ihrer Kunden nicht verkaufen, sondern sie lediglich für die Erbringung ihrer Leistungen an den die Daten überlassenden Kunden nutzen, sind u. E. von der Problematik verschont. Andere Unternehmen sollten mit ihren Beratern die weitere Vorgehensweise abstimmen. Wie so oft, verbleibt aber eine hohe Rechtsunsicherheit. Ein Zustand, der von den vielen redlichen Steuerpflichtigen zu Recht moniert wird.