EuGH bestätigt Rechtsfolgen der Organschaft und gibt Zuständigkeit für Umsatzsteuer ab
Das Steueraufkommen der Umsatzsteuer, als größte Einnahmequelle des Fiskus, betrug in 2023 rund EUR 292 Mrd. Steuerschuldner ist hierbei der Unternehmer. Im Jahr 2019 waren laut Statistik rund 6,97 Millionen Unternehmen umsatzsteuerlich registriert. Dabei dürfte die tatsächliche Anzahl der Einheiten, die Umsatzsteuer auslösen, deutlich größer sein. Grund hierfür ist die sog. umsatzsteuerliche Organschaft. Ist eine Einheit nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein anderes Unternehmen eingegliedert, so treffen die umsatzsteuerlichen Verpflichtungen das andere herrschende Unternehmen, den sog. Organträger. Der immense Vorteil der umsatzsteuerlichen Organschaft besteht darin, dass für sämtliche Einheiten nur eine Umsatzsteuererklärung einzureichen ist. Der Fiskus hat es somit nur mit einem Steuerpflichtigen, nämlich dem Organträger, zu tun. Ein Blick in die Praxis zeigt, dass in Deutschland gerade DAX-Unternehmen sehr häufig unter die Regelung fallen, und zwar mit mehr als 100 beteiligten Gesellschaften. Wie nachfolgend noch aufgezeigt wird, mag es zu „Einsparungen“ kommen, wenn zu der Organschaft Einheiten zählen, die ansonsten nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, weil sie sog. Ausschlussumsätze, d. h. bestimmte umsatzsteuerfreie Umsätze wie Bank-, Versicherungs-, Post- oder Bildungsleistungen tätigen.
Obwohl das Rechtsinstitut der Organschaft bereits 1934 in das deutsche Umsatzsteuergesetz Einzug hielt, wurden in den letzten zehn Jahren sowohl die Voraussetzungen als auch die Rechtsfolgen öfter in Zweifel gezogen. Da es sich bei der Umsatzsteuer zugleich um eine harmonisierte europäische Steuer handelt, musste der Europäische Gerichtshof (EuGH) aufgrund von Vorlagen, vor allem des Bundesfinanzhofes (BFH), mehrmals über die Organschaft befinden.
Die jüngste Anfrage des BFH betraf die Rechtsfolge der Organschaft. Konkret ging es darum, ob das deutsche Verständnis korrekt ist, dass die (umsatzsteuerlichen) Leistungen, die zwischen den beteiligten Einheiten ausgetauscht werden, nicht der Umsatzsteuer unterliegen, sondern nur jene, die gegenüber jeglichen Dritten, d. h. nicht zur Organschaft gehörenden Gesellschaften, erbracht werden. Der BFH hegte Zweifel an diesem bisherigen Verständnis, nachdem eine kürzlich zum EuGH berufene Generalanwältin in einem ihrer Schlussanträge dies in Frage gestellt hatte und sah sich veranlasst, den EuGH um eine entsprechende Auslegung zu ersuchen.
Am 11.07.2024 hat der EuGH sein Urteil verkündet und damit die Zweifel des BFH zerstreut. Die Entscheidungsgründe sind dabei eher kurzgefasst, aber dennoch überzeugend. Im Ergebnis haben die Richter entschieden, dass von einer Organgesellschaft gegen Entgelt an den Organträger erbrachte Leistungen nicht der Umsatzsteuer unterliegen und zwar selbst dann nicht, wenn der Organträger als solcher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Als solcher bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Organträger ausschließlich umsatzsteuerfreie Umsätze erbringt, die den Vorsteuerabzug ausschließen oder hoheitlich tätig ist. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für Leistungen an den Organträger, sondern auch für entgeltliche Leistungen zwischen den Organgesellschaften.
Der dem EuGH-Verfahren zugrundeliegende Sachverhalt
Die dem Urteilsfall zugrundeliegende Problematik ergab sich daraus, dass eine Stiftung insgesamt nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt war, da sie als Universität sowohl hoheitlich tätig ist und im Übrigen nur umsatzsteuerfreie Krankenhausleistungen erbringt. Die Stiftung war Anteilseignerin einer GmbH, die Reinigungsleistungen für das im Eigentum der Stiftung stehende Gebäude „Universitätsmedizin“ erbrachte. Wären diese Reinigungsleistungen von einem Fremdunternehmen ausgeführt worden, so hätte die Stiftung Umsatzsteuer an das Reinigungsunternehmen zahlen müssen, ohne eine Möglichkeit die Vorsteuer in Abzug zu bringen. Dadurch hätte der Fiskus über die GmbH Mehreinnahmen in Höhe der Differenz zwischen der von ihr vereinnahmten Mehrwertsteuer und der verausgabten Vorsteuer erzielt. Aufgrund der bestehenden umsatzsteuerlichen Organschaft ging die Stiftung davon aus, dass auf die Reinigungsleistungen keine Umsatzsteuer anfällt. Dies sahen das Finanzamt und der BFH jedoch anders. In einem ersten Verfahren, das der BFH an den EuGH herantrug, war zu klären, ob bei der Reinigungs-GmbH eine Besteuerung über das Rechtsinstitut der unentgeltlichen Wertabgabe erfolgt, wenn Reinigungsleistungen gegenüber dem hoheitlichen Bereich der Stiftung ausgeführt werden. Dies wurde durch den EuGH verneint. In der Nachfolgeentscheidung stellte sich dem BFH eine völlig neue Frage: Unterliegen die Leistungen der Reinigungs-GmbH der Besteuerung, weil die weitgehenden Rechtsfolgen der Organschaft, insbesondere die Nichtsteuerbarkeit der Innenleistungen, in der Vergangenheit verkannt wurden?
Die Entscheidung des EuGH
Wie oben erwähnt, hat der EuGH diese Zweifel ausgeräumt. Der vermeintliche Steuerausfall sei systemimmanent und würde im vorliegenden Fall nicht eintreten, wenn die Reinigungs-GmbH nicht als eigenständige juristische Person existierte, sondern als rechtlich unselbständiger Betriebsteil des Organträgers, einem sog. Inbound-Fall. Insoweit führen Organschaft und Inbound-Fall zum selben Ergebnis. Ein Steuerausfall tritt auch deshalb nicht ein, weil der Reinigungs-GmbH kein Recht auf Vorsteuerabzug zusteht, soweit sie ihre Eingangsleistungen für ihre Reinigungsleistungen gegenüber der Stiftung bezieht. Ein wenig provokativ zusammengefasst: Es besteht kein Steuerausfall, sondern es kommt nur nicht zu einer vom Fiskus erhofften, aber systemwidrigen Steuermehrung.
Der Blick über den Tellerrand
Wieder einmal hat der EuGH einer eher ausufernden Besteuerung in Deutschland Einhalt geboten. Dabei muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass der EuGH kein Fachgericht, wie beispielsweise der BFH, ist, sondern für sämtliche harmonisierten Rechtsgebiete zuständig ist. Auch wenn die eine oder andere Entscheidung deshalb in ihrer dogmatischen Begründung weniger ausführlich ausfällt, als es sich Spezialisten vielleicht wünschen, so ist das Ergebnis in den überwiegenden Fällen dennoch überzeugend.
Umso skeptischer wird an dieser Stelle die jüngste Änderung der Satzung des EuGH eingeschätzt, wonach in Zukunft das dem EuGH nachgeordnete Gericht, das sog. Europäische Gericht (EuG), über Vorabentscheidungsverfahren in Sachen des Mehrwertsteuerrechts entscheiden soll und nicht mehr der EuGH selbst. Diese Entwicklung wirft besonders deshalb Bedenken auf, weil die Mehrwertsteuer in der europäischen Gemeinschaft die mit Abstand aufkommensstärkste Steuer ist und Deutschland im Vergleich zu anderen westlichen Mitgliedstaaten doch als eher fiskalistisch orientiert gilt. Allerdings soll der EuGH weiterhin für Vorabentscheidungsersuchen zuständig bleiben, die eigenständige Fragen der Auslegung des Primärrechts, des Völkerrechts, der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts oder der Charta der Grundrechte der Europäischen Union betreffen.
Nachdem nun die bedeutendste Rechtsfolge der Organschaft geklärt ist, gilt es auch deren sehr komplexe Voraussetzungen möglichst streitunanfällig abzusichern und auszugestalten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine umsatzsteuerliche Organschaft auch dann schnell vorliegen kann, wenn eine natürliche Person als Unternehmer in einem engem Leistungsaustausch mit einer oder mehreren von ihm „beherrschten“ Gesellschaft steht. Auch Spezialberater tun sich bei der Beurteilung dieser Sachverhalte mitunter schwer. Genau aus diesem Grund haben die Bundessteuerberaterkammer und der Bundesrechnungshof auch wiederholt ein sog. Antragsverfahren ins Spiel gebracht, wie es in anderen Ländern bereits existiert. Insoweit wäre es wünschenswert, wenn das bereits einmal initiierte Gesetzgebungsverfahren zügig wiederbelebt würde und der Gesetzgeber zusammen mit seinem überlasteten Vorarbeiter, der Steuerverwaltung, aus dem Dornröschenschlaf erwacht.